Noch vor wenigen Jahren war die Bedeutung der Zivilgesellschaft für eine nachhaltige Entwicklung unbestritten. Staatliche Akteure wie die DEZA sprachen sich dafür aus, günstige Rahmenbedingungen für die Arbeit von NGOs schaffen zu wollen, gerade in autoritären Staaten. Doch der Wind hat sich gedreht. Im aktuellen Bundesratsentwurf der Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit 2021-2024 steht davon nichts. Ein Ziel, die Zivilgesellschaft stärken zu wollen, sucht man in der neuen Botschaft vergebens. Dabei wäre dies unabdingbar für einen starken Rechtsstaat.
Die Selbstbestimmungsinitiative wurde im November letzten Jahres dank des grossen Engagements zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen vom Schweizer Stimmvolk massiv verworfen. Hinter der Konzernverantwortungsinitiative, die grosse Sympathien in der Bevölkerung geniesst und auch Chancen hat, angenommen zu werden, stehen 114 Hilfswerke, Frauen-, Menschenrechts- und Umweltorganisationen, kirchliche, genossenschaftliche und gewerkschaftliche Vereinigungen sowie Aktionärsverbände. Und die Korrekturinitiative gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer, die in Rekordzeit von über 134‘000 Stimmberechtigten unterschrieben und letzte Woche eingereicht wurde, wird von zahlreichen Parteien und über 30 Organisationen der Schweizer Zivilgesellschaft getragen. Drei Beispiele, die Einblick in die Rolle und Bedeutung der Zivilgesellschaft für einen starken und demokratisch organisierten Staat geben.
Ein förderliches Umfeld für die Zivilgesellschaft …
Von solchen Verhältnissen können die Menschen in den meisten Entwicklungsländern nur träumen. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) können Machthabenden bisweilen zwar lästig sein, wenn sie ihre Stimme im Namen armer und benachteiligter Menschen erheben oder auf soziale und politische Missstände hinweisen. Gleichzeitig werden sie aber international als wichtige Entwicklungsakteure anerkannt. Dies fand Ende 2011 seinen Ausdruck in der von der OECD initiierten «Busan Partnerschaft für wirksame Entwicklungszusammenarbeit», die alle relevanten Akteure zusammenbrachte: Geber- und Empfängerländer, multinationale Institutionen, NGOs und den Privatsektor. Darin heisst es: «Zivilgesellschaftliche Organisationen (CSO) spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Menschen in die Lage zu versetzen, ihre Rechte geltend zu machen, rechtsbasierte Ansätze zu fördern, Entwicklungsstrategien und Partnerschaften zu gestalten und deren Umsetzung zu überwachen. […].»
Auch wenn die Busan-Ergebnisse nicht verbindlich waren, herrschte doch Einigkeit darin, dass die zivilgesellschaftliche Arbeit unterstützt werden soll. Das Schlussdokument hält fest: «Wir werden unsere Verpflichtungen vollständig umsetzen, damit die CSO ihre Rolle als unabhängige Entwicklungsakteure wahrnehmen können, wobei der Schwerpunkt auf einem förderlichen Umfeld («enabling environment») im Einklang mit den vereinbarten internationalen Rechten liegt.» Dazu gehören zweifellos die Einhaltung der Menschenrechte, das Recht auf Meinungsäusserung, die Möglichkeit politischer Teilhabe, eine gesicherte rechtliche Grundlage für die Arbeit und ausreichende Finanzierungsmöglichkeiten.
… musste Einschränkungen und Repression weichen
Doch der Geist von Busan ist weitgehend verschwunden. Stattdessen wird der Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Organisationen zunehmend eingeschränkt («shrinking space»). Immer mehr Länder erlassen Gesetze, um ein Engagement von lokalen und auch internationalen NGOs zu unterbinden. Fundamentale Rechte wie die Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsäusserungsfreiheit werden eingeschränkt. NGOs wird verboten, finanzielle Unterstützung aus dem Ausland anzunehmen. Sie werden in ihrer Arbeit behindert, mit Drohungen eingeschüchtert oder sogar mit Gewalt attackiert. In den schlimmsten Fällen werden die Mitglieder sozialer Bewegungen und NGOs bedroht, verhaftet oder sogar ermordet.
Laut CIVICUS, der 1993 gegründeten «globalen Allianz zur Stärkung der Bürgeraktionen und der Zivilgesellschaft», ist der zivilgesellschaftliche Raum heute in weit über hundert Ländern eingeschränkt. Gerade einmal drei Prozent der Weltbevölkerung lebt in Ländern, in denen dieser Raum als förderlich bezeichnet werden kann. Dabei schaffen gemäss CIVICUS-Erhebungen auch Länder, in die viele staatliche Entwicklungsgelder fliessen, nicht unbedingt gute Bedingungen für die Zivilgesellschaft. Entweder ist es den Gebern im Politikdialog nicht gelungen, die Bedingungen für die Zivilgesellschaft zu verbessern, oder aber es interessiert sie nicht wirklich. Letzteres ist zu befürchten: die wirtschaftliche Dynamik der Entwicklungsländer verdrängt die Frage nach einer Verbesserung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse.
Keine Bedeutung für die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz?
Diese zunehmenden Einschränkungen für NGOs sind alarmierend. Mehr denn je muss sich die Entwicklungszusammenarbeit die Stärkung der Zivilgesellschaft in ihren Zielländern zu ihrer Aufgabe machen. Denn autoritäre Regimes wandeln sich in erster Linie auf Druck der eigenen Bevölkerung zu demokratischen Systemen. Das Einhalten der Menschenrechte, das Durchsetzen eines Landrechts, das Kleinbauernfamilien schützt, oder das Aufdecken und Verhindern von Umweltskandalen kann nur auf Druck der Zivilgesellschaft erreicht werden. Ein funktionierender Rechtsstaat, dies zeigt das Beispiel Schweiz, braucht das demokratische Zusammenspiel der drei zentralen und starken «Sphären» Staat, Markt und Zivilgesellschaft.
Von all dem liest man im Bundesratsentwurf des «Erläuternden Berichts zur internationalen Zusammenarbeit 2021-2024» kaum etwas. Beim Ziel 4 – «Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Geschlechtergleichstellung fördern» – sucht man vergeblich nach einem Hinweis, dass dafür ein förderliches Umfeld für die Zivilgesellschaft notwendig wäre und der wachsenden Repression gegen NGOs entgegengetreten werden müsse. Dabei wäre gerade dies ein «komparativer Vorteil» der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz: Sie könnte ihre positiven Erfahrungen mit einem uneingeschränkten Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft in den Politikdialog und die Programme einbringen.
Doch statt dies hervorzuheben, begnügt sich der Entwurf des Bundesrats mit einigen Bemerkungen: Man wolle mit NGOs zusammenarbeiten und anerkenne deren Rolle bei der Einforderung und Kontrolle der öffentlichen Rechenschaftspflicht. Man wolle die Zivilgesellschaft einbinden und mit ihr speziell im Bereich der Kulturförderung zusammenarbeiten, was zur Stärkung der Zivilgesellschaft und des sozialen Zusammenhalts beitrage. Das ist mager angesichts der vielerorts wachsenden Bedrohung, die Stimmen der Zivilgesellschaft mundtot zu machen. Damit verspielt der Bundesrat die Möglichkeit, das Renommee der Schweiz als demokratisches System wirkungsvoll in die internationale Zusammenarbeit einfliessen zu lassen.