Wegen dubiosen Finanzflüssen, gesundheitsschädigenden Dieselexporten, intransparenten Goldgeschäften und missbräuchlichen Unternehmensklagen gerät die Schweiz wiederholt ins internationale Rampenlicht. Kommt die Kritik von der UNO, verleiht dies Skandalen und menschenrechts- und umweltpolitischen Unzulänglichkeiten besonderes Gewicht. Rügen der UNO sollten daher mit der gebotenen Ernsthaftigkeit und Sorgfalt behandelt werden.
Anfang 2018 kritisierte ein UNO-Menschenrechtsexperte in einem Bericht die schweizerische Steuerpolitik für multinationale Konzerne: Die Schweiz sei mitverantwortlich, dass Entwicklungsländern jedes Jahr rund 200 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen entgehen, wenn transnationale Unternehmen ihre Gewinne in Tiefsteuergebiete wie die Schweiz verschieben. Vor dem UNO-Menschenrechtsrat wies der Experte auch darauf hin, dass die Schweiz bei der Eindämmung illegaler Finanzströme zwar Fortschritte gemacht habe, sie aber mehr tun müsse, um «schmutziges Geld» in ihren Finanzmärkten zu verhindern.
Zwar fanden die Bemühungen der Schweiz Anerkennung, in den Jahren 1986 bis 2016 knapp zwei Milliarden Schweizer Franken von politisch exponierten Personen an ihre Länder und ihre Bevölkerung zurückerstattet zu haben, die auf Schweizer Bankkonten versteckt gewesen waren. Darunter illegal aus dem Land geschaffte Gelder von Abacha (Nigeria), Ben Ali (Tunesien), Dos Santos (Angola), Duvalier (Haiti), Marcos (Philippinen), Mobutu (Ex-Zaire), Mubarak (Ägypten) und Salinas (Mexiko). Trotz der Fortschritte müssten gemäss der UNO die Rechenschaftspflicht, Aufsicht und Regulierung des Finanzplatzes aber ausgebaut werden, um zu verhindern, dass Gelder zweifelhafter Herkunft überhaupt erst auf hiesigen Banken landeten.
Dass die Schweiz tatsächlich ein grosses Problem mit Geldwäscherei hat, zeigten die Pandora-Papers und die Suisse Secrets sowie aktuell die russischen Oligarchengelder. Dieses Problem dürfte auch der jüngste Gesetzesentwurf des Bundesrats nicht lösen, sodass die bekannten Herausforderungen bei der Geldwäscherei-Bekämpfung fortbestehen werden.
Verschwiegener Goldhandel
Im Oktober 2022 geriet die Schweiz im UNO-Menschenrechtsrat wegen dem Goldbergbau im Amazonasbecken in den Fokus. Im Zusammenhang mit illegal abgebautem Gold wiesen die Ermittler:innen auf Quecksilbervergiftungen – das hochgiftige Schwermetall wird für die Trennung des Goldes von anderen Stoffen verwendet –, Geldwäscherei und Kinderarbeit hin. Sie machten für solche Vergehen auch jene Länder mitverantwortlich, die Gold importieren. Die Schweiz raffiniert rund 70 Prozent der weltweiten Gold-Produktion und ist damit der grösste Goldraffinerie- und Transitplatz der Welt. Allein im Jahr 2021 kaufte die Schweiz Gold im Wert von 90 Milliarden US-Dollar. Schweizerische Goldraffinerien müssten daher sicherstellen, dass die Menschenrechte in der gesamten Lieferkette eingehalten werden.
Dass der Menschenrechtsschutz nach wie vor nicht garantiert wird, darauf weisen auch ein Bericht des Bundesrats selbst sowie jüngere Studien hin. So veröffentlichte Swissaid im März 2023 einen Bericht, in dem die NGO aufzeigt, wie Gold von über einem Duzend afrikanischer Länder in die Schweiz gelangt. Bislang lehnen es Schweizer Raffinerien ab, die Identität ihrer Lieferanten preiszugeben. Sie berufen sich auf Vertraulichkeit und das Geschäftsgeheimnis. Ein Grund für die Verschwiegenheit der Branche könnte aber auch sein, dass die Raffinerien nicht mit den Problemen in den Minen in Verbindung gebracht werden möchten. Während der World Gold Council für mehr Transparenz in den Goldlieferketten sorgen will, stellte sich das Bundesgericht auf die Seite der Goldraffinerien – wo die Schweiz ihr Gold kauft, soll weiterhin Geheimsache bleiben.
Minderwertiger Diesel
Über viele Jahre wurde Diesel von sehr schlechter Qualität via Rotterdam nach Westafrika geliefert. In diesem Zusammenhang erhielt die Schweiz im Juli 2023 einen Protestbrief der UNO. 2016 konnte Public Eye in einer umfangreichen Recherche aufzeigen, dass Schweizer Rohstoffkonzerne lasche afrikanische Standards gezielt ausnutzten und stark schwefelhaltigen Treibstoff verkauften. Der Treibstoff verpestete in Ländern wie Angola, Benin, Elfenbeinküste, Ghana, Mali, Nigeria und Sambia die Luft und führte bei vielen Menschen zu Atemwegserkrankungen.
Seit August 2022 gehen die niederländischen Behörden gegen das dreiste Geschäft vor, indem Treibstofffirmen beim exportierten Diesel strengere Grenzwerte erfüllen müssen. So durfte der nach Afrika gelieferte Diesel ab Sommer 2022 nur noch 35-mal so viel Schwefel enthalten wie jener, der in der Schweiz verbraucht wird; ab April 2023 nur noch fünfmal so viel. Doch genau diese Regeln umschiffte die hiesige Rohstoffbranche, indem sie teils relevante Information über die Qualität der Mischungen vorenthielt. Aus diesem Grund schickte das Umweltprogramm der UNO (UNEP) Bundesrat Albert Rösti eine schriftliche Rüge. Das Seco entgegnete, man stehe mit den Rohstoffhändlern im regelmässigen Austausch: «Die Unternehmen versichern, dass sie die geltenden gesetzlichen Vorschriften in den Abnehmerländern einhalten.» Der Bundesrat gesteht allerdings ein, dass es keine Überwachung des Rohstoffmarktes gebe und man keinen wirklichen Einfluss auf die Geschäfte der Rohstoffhändler habe.
Missbräuchliche Klagen
Anfang August 2023 rüffelte der UNO-Sonderberichterstatter für Umweltschützer den Bundesrat, die Schweiz lasse es zu, dass der kanadische Immobilienkonzern Sakto Gerichtsverfahren, Strafanzeigen und eine PR-Kampagne nutzte, um den Bruno Manser-Fonds zum Schweigen zu bringen. Hintergrund ist ein Streit der Basler Umweltschutzorganisation mit der Familie von Sarawaks Gouverneur. Dessen gigantisches Vermögen stammt teils aus Lizenzvergaben zur Abholzung des Urwalds.
Über viele Jahre machte der Bruno Manser-Fonds auf die rasante Zerstörung des malaysischen Regenwalds durch die Holzindustrie aufmerksam. 2017 klagte die NGO und verlangte Einsicht in Geschäftsunterlagen der Immobilienfirma Sakto der Tochter des Gouverneurs von Sarawak. Nachdem die Einsicht verwehrt wurde, erfolgte der Gegenschlag: Mit Hilfe eines Basler Anwaltsbüros ging Sakto gegen die NGO vor und unterstellte ihr Verleumdung, üble Nachrede und Nötigung. Bald stellte sich jedoch heraus, dass es sich um eine überrissene Klage handelte, mit der Absicht, die kleine Umweltorganisation in ihrer Existenz zu gefährden. 2022 schlug sich ein Gericht auf die Seite des Fonds.
Offensichtlich verfolgte Sakto eine «strategische Klage», sog. SLAPP: Gezielt setzen damit wohlhabende Personen und Konzerne aufwändige Gerichtsverfahren ein, um unliebsame Journalist:innen und Advocacy-Organisationen zum Schweigen zu bringen. Diese werden genötigt, viel Zeit aufzubringen und Geld für die Verteidigung haltloser Klagen auszugeben. SLAPPs erschweren den Einsatz für die Verteidigung der Menschenrechte, weltweit. Während die EU gegen SLAPPs vorgehen will, besteht aus Sicht der Parlamentsmehrheit in der Schweiz allerdings kein Handlungsbedarf.
Wie in den vorherigen Beispielen gab es auch in diesem Fall von Seiten der offiziellen Schweiz nur eine halbherzige Reaktion. Auch hier lautet die Devise abwiegeln und die Verantwortung von sich weisen. Das Bundesamt für Umwelt BAFU antwortete Anfang November auf den Brief der UNO, der Schutz für Umweltschützer sei in der Schweiz ausreichend. Die Schweiz sei nicht verpflichtet, im Streit der Regenwaldschützer mit ihren Klägern einzugreifen. Alles in bester Ordnung also?