Zucker ist verführerisch, sein Beigeschmack aber bitter. Hierzulande kommt uns der hohe Zuckerkonsum teuer zu stehen: mit staatlichen Subventionen in den heimischen Rübenanbau gepaart mit enormen Gesundheitskosten für die Gesellschaft. In Ländern des Südens verdrängt der Zuckerrohranbau lokale Grundnahrungsmittel – bei teils sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen.
Beinahe jede zweite Person in der Schweiz ist übergewichtig. Mindestens jede zehnte Person leidet an Fettleibigkeit. Die damit verbundenen Gesundheitskosten werden allein hierzulande auf über 50 Milliarden Franken pro Jahr geschätzt, was 80 Prozent der gesamten direkten Gesundheitsausgaben ausmacht.
In Schweizer Haushalten ist der Zuckerkonsum einer der höchsten in Europa. Er liegt mehr als vier Mal über der Menge von 25 Gramm pro Person und Tag, welche die Weltgesundheitsbehörde (WHO) als sinnvoll erachtet. Der maximal empfohlene Wert liegt bei 50 Gramm. Am stärksten von übermässigem Zuckerkonsum betroffen sind Jugendliche und Menschen aus sozial benachteiligten Schichten.
Seit Jahren rät die WHO den Regierungen zu einer klaren Kennzeichnung von zuckerhaltigen Produkten und einem Verbot von Werbung, die sich an Jugendliche richtet. Ebenfalls empfiehlt die UNO-Organisation die Einführung einer Zuckersteuer. Doch aufgrund der politischen Mehrheiten im Parlament sind die Schweizer Behörden trotz vielseitiger Appelle, den Zuckerkonsum einzudämmen, zurückhaltend. Nicht zuletzt spielen die Interessen der hiesigen Agrar-, Getränke- und Lebensmittelindustrie rund um den weltweit tätigen Nahrungsmittelriesen Nestlé eine entscheidende Rolle.
Daher setzt die Schweiz einmal mehr und wie in vielen anderen Bereichen auf Freiwilligkeit: Im Rahmen der «Erklärung von Mailand» gelobten 14 Schweizer Firmen 2015 den Zuckergehalt in bestimmten Produkten bis Ende 2024 um (bescheidene) 10 Prozent zu senken – in Joghurts, Frühstückscerealien und Erfrischungsgetränken. Im Februar 2023 schlossen sich zehn weitere Schweizer Lebensmittelkonzerne, Detailhändler und Getränkehersteller der Mailänder Erklärung an, wohl auch in der Absicht, staatlicher Regulierung den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Zuckersteuer zahlt sich aus
Weltweit haben mehr als fünfzig Länder eine Zuckersteuer eingeführt mit dem Ziel, den Konsum von Süssgetränken zu vermindern. Die Schweiz, Italien, Österreich und Deutschland machen nicht mit, obschon eine aktuelle Studie zeigt, dass mit einer Zuckersteuer z.B. in Deutschland in den kommenden zwanzig Jahren über 200'000 Fälle von Diabetes verhindert und bis zu 16 Milliarden Euro an Gesundheits- und Sozialfolgekosten eingespart werden könnten.
In Mexiko beispielsweise werden Süssgetränke mit einem Peso pro Liter besteuert, was die Produkte um rund 10 Prozent verteuert und für Konsument:innen weniger attraktiv macht. Denselben Ansatz verfolgen Portugal und vereinzelte Bundesländer und Städte in den USA – oder Südafrika, das eine «gesundheitsfördernde Abgabe» von 10 Prozent auf gesüsste Getränke erhebt. In Grossbritannien zahlen Unternehmen weniger Steuern, wenn sie ihren Produkten weniger Zucker beimischen. Anhand zahlreicher Länderbeispiele zeigt sich, dass sich die positiven Ergebnisse unabhängig von der Methode sehen lassen – sowohl in Bezug auf Übergewicht, Diabetes, Karies, Herzkrankheiten und Hirnschläge als auch hinsichtlich den von der Gesellschaft getragenen Gesundheitsfolgekosten.
Rübe oder Rohr?
Zucker wird aus Zuckerrübe wie in Europa oder aus Zuckerrohr hergestellt. In der Schweiz bauen rund 4'500 Landwirt:innen Zuckerrüben an. Weil die Zuckerproduktion nicht konkurrenzfähig ist, wird der Rübenanbau seit Jahren staatlich gefördert. Zum einen mit Mindestgrenzschutz. Zum anderen mit Subventionen. Während der einzige Verarbeiter von Zuckerrüben, die Schweizer Zucker AG, Anbau, Verarbeitung und Vertrieb vorantreiben möchte, hat die «Vision Landwirtschaft», ein gemeinnütziger Verein für eine transparente Agrarpolitik, einen anderen Vorschlag: Würde hierzulande der Zucker reguliert und nur die Menge angebaut, die unsere Gesundheit verkraften kann (also rund viermal weniger als heute), dann könnte die Schweiz ihren Bedarf selbst decken. Heute beträgt der Selbstversorgungsgrad gemäss Schweizer Zucker AG 65 Prozent, der Rest wird aus der EU und Mauritius importiert.
Einsparen liessen sich so auch gesundheitsschädliche Subventionen: Die Produktion von Zuckerrüben kostet die Steuerzahlenden rund 70 Millionen Franken pro Jahr – überdurchschnittlich viel im Vergleich zu anderen Kulturen. Gleichzeitig könnte die Schweiz den konventionellen, pestizid-intensiven Zuckerrübenbau durch biologisch angebaute Rüben ersetzen. Laut Bio Suisse würde sich der biologische Anbau lohnen.
Geschichtsträchtiges Zuckerrohr
Auch beim Zuckerrohranbau tut Veränderung Not. Tropische und subtropische Anbauländer von Zuckerrohr stehen vor grossen Herausforderungen: Übrig gebliebene Strukturen aus der Kolonialzeit und dem Sklavenhandel spielen ebenso eine Rolle wie auch die meist schlechten Arbeitsbedingungen und die negativen Folgen des Anbaus hinsichtlich der lokalen Ernährungssicherheit und der Umwelt.
Zuckerrohr hat eine Geschichte von rund 10'000 Jahren. Es stammt ursprünglich von der pazifischen Inselgruppe Melanesien, die nordöstlich von Australien liegt. Zunächst war Zucker ein Luxusgut für Wenige. Das änderte sich, als grossflächige Zuckerrohrplantagen in der Karibik und in Südamerika entstanden und der weltweite Handel einsetzte. Vor rund 450 Jahren begannen die Kolonialmächte Afrikaner:innen über den Atlantik zu verschleppen. Sie mussten Kaffee, Tabak, Tee und Baumwolle anbauen – und eben: Zucker.
Dazu wurden riesige Wald- und Vegetationsflächen gerodet, was die Landschaften bis heute prägt. Vom ausbeuterischen Handel mit Menschen profitierten auch Schweizer Unternehmen und Kantone bis ins 19. Jahrhundert. Bald verschickten die Plantagenbetreiber und Handelsgesellschaften für die damalige Zeit enorme Mengen an Rohzucker zur Verarbeitung und für den Konsum in Richtung Europa und USA. Dank des grossflächigen Anbaus wurde Rohzucker allmählich für breitere Bevölkerungsschichten erschwinglich.
Heute wird 86 Prozent des Zuckers weltweit aus Zuckerrohr gewonnen. Zuckerrohr wird in etwa hundert Ländern der Welt angebaut; die wichtigsten darunter sind Brasilien, Indien, Thailand, Pakistan, China, Mexiko, Indonesien, Kolumbien und die Philippinen. Dabei kommt es immer wieder zu Fällen von Landraub, weil lokale Machthaber es nationalen und internationalen Konzernen zur Verfügung stellen. Zudem sind unhaltbare Arbeitsbedingungen auf Plantagen, die teilweise an die Kolonialzeit erinnern, Alltag.
Ohne stärkere staatliche Regulierung, mehr unternehmerische Selbstverpflichtung und Konsumeinschränkungen wird die weltweite Nachfrage nach Rohrzucker weiter zunehmen. Dies wiederum bedeutet, dass es mehr Anbauflächen braucht – auf Kosten der Natur und des lokalen Anbaus von Grundnahrungsmitteln.