Visitors take a close look at the new US fighter jet F35 Joint Strike Fighter , Schoenefeld, Germany. | © Keystone/EPA/DPA/RALF HIRSCHBERGER

Am Scheideweg

Militärische Hardware vs. Soft Power
VON: Patrik Berlinger - 02. Oktober 2024
© Keystone/EPA/DPA/RALF HIRSCHBERGER

Die Welt rüstet auf, und die globalen Nachhaltigkeitsziele werden immer offensichtlicher vernachlässigt. Anstatt auf ihre bewährte und ästimierte «soft power» setzt auch die Schweiz derzeit auf militärische Hardware. Dies steht im Widerspruch zu einer weitsichtigen und ganzheitlichen Sicherheitspolitik. 

Der Bundesrat schreibt in seiner Aussenpolitischen Strategie, die Welt werde «weniger westlich geprägt und weniger demokratisch». Sie werde «fragmentierter und gefährlicher». Die Frage ist nun, wie die Schweiz auf die vielschichtigen und anspruchsvollen Herausforderungen reagiert. Die Meinungen dazu sind zahlreich und divergierend, wie die aktuelle Debatte zur Internationalen Zusammenarbeit (IZA) der Schweiz zeigt.  

So behandelte der Ständerat in der Herbstsession die künftige Ausrichtung der schweizerischen «Entwicklungshilfe». Bürgerliche Politiker:innen forderten ganz generell, es gelte neu zu priorisieren und die Mittel der IZA deutlich zu kürzen, um damit – nicht zuletzt «aus Solidarität mit den umliegenden Ländern» – in die konventionelle Verteidigungsfähigkeit der Schweiz zu investieren. Ausserdem wurde von konservativer Seite moniert, die Schweiz setze mit der vorliegenden IZA-Strategie 2025-28 nicht auf die richtigen Ziele.  

Militärische Aufrüstung vs. umfassende Sicherheit 

Ja, die Schweiz ist Formen hybrider Kriegsführung wie Desinformation, Spionage und Cyber-Attacken ausgesetzt. Es stimmt auch, dass die Regierungen Russlands und Chinas Europa und den Globalen Norden insgesamt vor enorme Herausforderungen stellen. Doch, ob mit konventioneller Aufrüstung allein die sicherheitspolitische Lage der Schweiz tatsächlich verbessert werden kann, ist fraglich. Denn nebst militärischen Bedrohungsszenarien gibt es weitere, für die Schweiz relevante Bedrohungen: die Folgen der fortschreitenden Erderwärmung und der Verlust natürlicher Lebensgrundlagen oder populistisch-autokratische Tendenzen weltweit und die kontinuierliche Schwächung der Menschenrechte und der regelbasierten internationalen Ordnung. 

Gerade bei nicht-militärischen Bedrohungen ist es die Internationale Zusammenarbeit, die mit ihren vielfältigen Ansätzen nachweislich zentral zu einer ganzheitlichen Sicherheitspolitik beiträgt: Mit ihrer humanitären Hilfe lindert die Schweiz unmittelbares Leid und entgegnet einer weiteren Destabilisierung ganzer Regionen. Mit der Entwicklungszusammenarbeit in der Bildung, Gesundheit und Ernährungssicherheit verbessern sich vor Ort die Perspektiven armer Bevölkerungsteile. IZA-finanzierte Klimamassnahmen stärken in armen, vulnerablen Ländern gezielt den Klimaschutz und die Anpassung an die zunehmend verheerenden Extremwetterereignisse. Die Förderung von Frieden und Menschenrechten stärkt liberale und demokratische Werte und damit zivilgesellschaftliche Akteure vis-à-vis mangelhaft demokratischen Regierungen. 

Ausserdem ist es fraglich, ob die Schweiz ihre Solidarität mit den «umliegenden Ländern» tatsächlich am besten dadurch zum Ausdruck bringt, indem sie massiv in die militärische Hardware investiert – notabene auf Kosten weltweiter Armutsbekämpfung und der Förderung globaler Nachhaltigkeitsziele der UNO. Nützt die Schweiz ihren befreundeten Regierungen nicht mehr, wenn sie in weltweiten Klimaschutz und in die zivile Friedensförderung investiert, unlautere Finanzflüsse von unserem Finanzplatz fernhält und damit weltweit Korruption mindert, das «internationale Genf» stark hält und weltweit ihre Guten Dienste als «ehrlicher Verhandler» aktiv einsetzt? 

Entwicklungszusammenarbeit vs. Geschäfte machen 

Nebst dem Wunsch nach Kürzungen bezweifelten Bürgerliche im Ständerat, ob die Schweiz «ihren Ansatz der IZA auf Dauer durchhalten» könne. Konkret wurde kritisiert, dass die vier Ziele der IZA – Humanitäre Hilfe, Bildung und Gesundheit; Förderung von Demokratie und Frieden; Stärkung des Privatsektors und von menschenwürdigen Arbeitsplätzen sowie Klima- und Umweltschutz – unverändert bleiben sollen, obwohl sich die Welt gerade rasant verändere. Fast schon mit einer gewissen Bewunderung attestierte ein Ständerat China, «Afrika» als Investitions- und Geschäftspartner auf Augenhöhe zu betrachten. China wolle keine «Entwicklungshilfe» leisten, sondern «Geschäfte machen». Dagegen sei «die Schweiz mit ihrer IZA nicht gut aufgestellt». 

Dabei zeigt gerade das russische und chinesische Vorgehen in Afrika, mit welch grossen Problemen ihr Entwicklungsverständnis behaftet ist: Die BRICS-Länder vergeben Kredite anstatt Zuschüsse, was zu Verschuldung und damit zu Abhängigkeit afrikanischer Länder führt. Die «Geschäfte», etwa eine Unterstützung im militärischen Bereich, Rohstoffausbeutung oder der Bau von grossen Infrastruktur- und Prestigeprojekten, werden in aller Regel intransparent und ohne Rechenschaftspflicht abgewickelt. Sie dienen den Regierungen auf beiden Seiten, während dem Schutz der Arbeiter:innen und dem Umweltschutz kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird. Aspekte wie Demokratie, Menschenrechte und Nachhaltigkeit spielen keine Rolle. Vielerorts werden so illiberale Regierungen gestärkt anstatt die Zivilgesellschaft und der landeseigene Privatsektor. 

Das verdeutlicht, dass die Schweiz mit ihrer Internationalen Zusammenarbeit auf die richtigen Ziele setzt – und auch die Werte fördert, welche unser Land ausmachen: Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Meinungsfreiheit und Marktwirtschaft, Menschenrechte, Solidarität und humanitäre Prinzipien. 

«Entwicklungshilfe» vs. Entwicklungszusammenarbeit 

Die Schweizer IZA versteht seit Jahrzehnten, dass «Entwicklung» nicht «von Aussen» gebracht werden kann, sondern dass die Menschen selbst ihre «Entwicklung» voranbringen und dafür Verantwortung übernehmen müssen (Ownership). Akteure der internationalen Zusammenarbeit wie die DEZA und das Seco oder NGOs wie Swissaid, Caritas und Helvetas können die Menschen in den Ländern des Globalen Südens dabei bestärken und begleiten, im Sinne von «Hilfe zur Selbsthilfe».

Letztlich ist «Entwicklung» ein Prozess sozialer, politischer und wirtschaftlicher Austarierung in den betroffenen Ländern selbst. Dieser Prozess wird am besten von lokalen Fachleuten und Wissenschafter:innen, von Ingenieur:innen und KMUs initiiert und geführt und, wenn gewünscht, von Entwicklungsorganisationen vor Ort begleitet (Lokalisierung).

Oft arbeiten die DEZA, die Entwicklungs- und lokalen Partnerorganisationen mit besonders vulnerablen und benachteiligten Gruppen zusammen – Frauen, Menschen mit Behinderungen, Minderheiten etc. –, wobei ihre unmittelbaren Lebensumstände und auch ihre Rechtsstellung verbessert und ihr politisches Gewicht gestärkt werden (Stärkung der Zivilgesellschaft). 

Fazit 

Die Internationale Zusammenarbeit (IZA) ist DAS Instrument, mit dem die Schweiz den vielgenannten Herausforderungen begegnet. Die IZA leistet einen Beitrag zur Bewältigung des Klimawandels, von regionalen und globalen Gesundheitskrisen, irregulärer Migration und von gewaltsamen Konflikten. Sie stärkt die lokale Wirtschaft und schafft Perspektiven. Damit ist Entwicklungszusammenarbeit ein zentraler Bestandteil einer weitsichtigen, präventiven Sicherheitspolitik

Der Leistungsausweis der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit ist gut; sie wird in den Ländern des Südens, aber auch bei Partnern in Europa und von den USA sowie dem Wirtschaftsverbund OECD geschätzt. Die Schweiz unterstützt bedürftige Menschen und die lokale Zivilgesellschaft, und nicht etwa «korrupte Regime». Mit den gesetzten vier Zielen zeigt sie ihr solidarisches, verantwortungsbewusstes und nachhaltiges Gesicht. 

In der aktuellen Debatte, wo es darum geht, bei der IZA hunderte von Millionen Franken einzusparen, um die Schweizer Armee aufzurüsten, steht darum viel auf dem Spiel – nämlich die umfassende Sicherheit und der Ruf der Schweiz als verlässliche Partnerin, als Vermittlerin und humanitäre Akteurin mit eindrücklicher «soft power», also der Fähigkeit, die Welt positiv, und das heisst auch in unserem langfristigen Eigeninteresse mitzugestalten. 

Mehr zur aktuellen Debatte über die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz erfahren Sie in unserem Argumentarium «In die Zukunft investieren». 

Patrik Berlinger | © Maurice K. Gruenig
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