«Entwicklungsprojekte schützen Menschenleben und verringern die Armut»

Im Seilziehen um die Finanzierung der internationalen Zusammenarbeit im Parlament wird immer wieder die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit bezweifelt. Forschungsresultate zeigen jedoch klar, dass Entwicklungsprojekte das Leben von Menschen verbessern können, wie Ökonomin Adina Rom im Interview sagt.
VON: Laura Baehny - 07. November 2024

Sie sind Ökonomin und spezialisieren sich auf Armutsforschung – wie sind Sie eigentlich auf die Armutsforschung gekommen? 

Schon als Kind war mir aufgefallen, wie ungerecht die Welt ist. Als ich nach der Matura nach Indien reiste, erlebte ich dann auch die extremen globalen Unterschiede. Das machte mich betroffen, aber auch neugierig und ich wollte besser verstehen, woher globale Ungleichheit kommt und wie Armut effektiv bekämpft werden kann. Während meines Politologie-Studiums in Genf, des Masters in Internationaler Entwicklung in Harvard und des Doktorats in Volkswirtschaft an der ETH und in Kenia konnte ich mein Wissen zu diesen Themen erweitern. Ich habe gemeinsam mit kenianischen Kolleg:innen eine Organisation aufgebaut, die erforscht, wie Armut effektiv bekämpft werden kann. Für mich war diese Erfahrung sehr prägend und hat meinen Blick auf mein Aufwachsen in der Schweiz verändert. Vieles hat mich auch überrascht, etwa dass ich in einem Dorf in Kenia die Stromrechnung per Handy bezahlen konnte, was in Zürich noch jahrelang nicht möglich war. Es freut mich, dass ich das Gelernte heute in der Leitung von «ETH for Development» anwenden kann, einer ETH-Initiative für nachhaltige globale Entwicklung.

Adina Rom ist Ökonomin und Leiterin von «ETH for Development» (ETH4D), eine Initiative, die sie mitaufgebaut hat. Das Netzwerk umfasst fast 60 ETH Professor:innen, die sich für die 17 Nachhaltigkeitsziele (SDG) einsetzen. ETH4D fördert Forschung und Innovationen, welche die globale Entwicklung und humanitäre Arbeit weiterbringen, engagiert sich für Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Praxis und etabliert globale akademische Partnerschaften. Mit ihrer Firma Policy Analytics unterstützt sie gesellschaftlich orientierte Organisationen dabei, ihre Wirkung zu messen und zu verbessern. Privat setzt sie sich im Vorstand von verschiedenen Schweizer Organisationen für die Erreichung der SDGs und Chancengleichheit in der Schweiz ein.

Die Armut ist in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen. Warum braucht es überhaupt noch Entwicklungszusammenarbeit? 

Ja, die extreme Armut auf der Welt hat sich in den letzten Jahrzehnten halbiert. Noch nie in der Geschichte der Menschheit ist sie so stark zurückgegangen. Auch Schulbildung, Zugang zu Strom und sauberem Wasser und die Lebenserwartung sind gestiegen. In vielerlei Hinsicht leben wir in einer ausserordentlich positiven Zeit. Trotz dieser Fortschritte leben immer noch sehr viele Menschen in Armut. In Ländern mit tiefem Einkommen ist die Kindersterblichkeitsrate etwa zehnmal höher als bei uns. Zudem bedrohen die gegenwärtigen Krisen die weiterhin notwendige Armutsbekämpfung. Wegen bewaffneter Konflikte, Klimawandel und Covid-19 haben Hunger und Unterernährung leider wieder zugenommen. Gleichzeitig zeigt die Forschung, dass Entwicklungsprojekte eine starke positive Wirkung haben können. Sie schützen Menschenleben, können Armut nachhaltig verringern und zu besserer Bildung beitragen.

Können Sie Beispiele nennen? 

Mit Impfkampagnen hat die globale Gemeinschaft Millionen von Menschen gerettet. Allein die Masernimpfung verhindert rund zwei Millionen Todesfälle pro Jahr. Oder nehmen Sie die Moskitonetze gegen Malaria, die ebenfalls Millionen von Menschen, insbesondere kleinen Kindern, das Leben retten. Bei Infrastrukturinvestitionen zeigen Forschungsresultate, dass der Bau von Hängebrücken, die isolierte Gemeinden vernetzen, auch das regionale Wachstum stark ankurbeln. Damit steigt das Einkommen der Menschen, weil sie direkteren Zugang zu Märkten für ihre Landwirtschaftsprodukte und zu Arbeitsstellen haben.

«Die Forschung zeigt, dass Entwicklungsprojekte eine starke positive Wirkung haben können.»

Adina Rom, Ökonomin

Der Bundesrat will 1,5 Milliarden Franken aus dem Budget für die Internationale Zusammenarbeit nehmen, um den Wiederaufbau in der Ukraine mitzufinanzieren. Damit würden pro Jahr fast 400 Millionen für Projekte im Globalen 
Süden fehlen. Was halten Sie davon? 

400 Millionen pro Jahr sind ein enormer Betrag. Das ist mehr Geld, als die Schweiz derzeit jährlich für die Entwicklungszusammenarbeit in ganz Afrika einsetzt. Eine derart massive Reduktion der Gelder dezimiert die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit stark. Ich finde es richtig und wichtig, dass wir in der Ukraine Wiederaufbauhilfe leisten wollen. Das darf jedoch nicht auf Kosten der ärmsten Menschen geschehen. 

Welche Auswirkungen werden solche Einsparung in den betroffenen Regionen haben? 

Mit weniger Geld können in den ärmsten Ländern der Welt konkret weniger Menschen geschützt und unterstützt werden. Vereinfacht gesagt, bedeutet das: weniger Zugang zu Trinkwasser, schlechtere Gesundheit, weniger Bildung etc. Dies steht im Widerspruch zur Strategie von Bundesrat und Parlament, die sich zum Ziel gesetzt hatten, die internationale Zusammenarbeit auf die ärmsten Länder zu fokussieren. Ein sinnvoller Entscheid, weil dort die Not am grössten ist und sich da am meisten bewirken lässt.

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Was gibt es denn für Beispiele aus Ihrer Forschung? 

Im Rahmen meiner Doktorarbeit in Kenia habe ich die Wirkung von Solarlicht auf Haushalte untersucht, die keinen Zugang zum Stromnetz hatten und meistens Kerosinlampen nutzten. In einer randomisierten Studie mit über 1400 Haushalten konnten wir zeigen, dass die Solarlichter nicht nur die Haushaltsausgaben senken und die Gesundheit und das Wohlbefinden verbessern, sondern auch die klimaschädlichen Emissionen der Haushalte stark reduzieren. Schulkinder verbringen mehr Zeit mit Hausaufgaben. Menschen Zugang zu Solarlampen zu geben, scheint also vielversprechend, weil es einerseits einen positiven Effekt auf das Klima hat und andererseits den Wohlstand von armen Personen erhöht.

«Wenn Projekte nun abgebrochen werden müssen, schadet das nicht nur dem Projekt und den Menschen vor Ort, sondern auch dem Ruf der Schweiz.»

Adina Rom, Ökonomin

Entwicklungszusammenarbeit trägt zum guten Ruf der Schweiz bei, heisst es. Wie fragil ist denn dieses Image?

Die Schweiz ist dafür bekannt, langfristige und nachhaltige Partnerschaften zu pflegen und gilt daher als verlässlich. Wenn Projekte nun abgebrochen werden müssen, schadet das nicht nur dem Projekt und den Menschen vor Ort, sondern auch dem Ruf der Schweiz. Und wir wissen alle: Ein Ruf ist viel schneller zerstört als wiederaufgebaut. Zudem geht auch viel Knowhow verloren. Dazu kommt, dass Bundesrat und Parlament mit einer faktischen Kürzung der Mittel bei der Entwicklungszusammenarbeit am Willen der Schweizer Stimmbevölkerung vorbei zielen würden: Laut einer aktuellen ETH Studie wünschen nämlich rund 58 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten eine Erhöhung der Schweizer Entwicklungshilfe. Im Vergleich dazu möchten nur 26 Prozent eine Erhöhung der Militärausgaben.

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