«Hallo? Können Sie mich hören? Können Sie mich sehen?». Diese Worte sorgten vergangene Woche bei Fussgängern an der Zürcher Bahnhofstrasse für Verwirrung. Denn sie dröhnten aus einem übergrossen Smartphone-Screen mitten im Weihnachtsgetümmel der Innenstadt. Am anderen Ende der Videocalls: Menschen aus aller Welt, die ihre Geschichten erzählen.
Weihnachtsstimmung in Zürich: Trotz aktueller Einschränkungen tummeln sich an der Bahnhofstrasse viele Passantinnen und Passanten, die ihre Weihnachtseinkäufe erledigen. Und plötzlich klingelt in voller Lautstärke mitten im Getümmel ein Telefon. Irritiert schauen sich die Menschen um. Was passiert hier gerade? Gilt dieser Videoanruf mir? Wer will sich mit mir in Verbindung setzen? Eine versteckte Kamera hält die Reaktionen fest.
Die Welt ruft an – und die Schweiz geht ran
«Hallo, können Sie mich hören? Können Sie mich sehen?». Spätestens seit März kennen wir diese Worte bestens aus unserem neuen Alltag. Ebendiese Worte schallen auf einmal laut durch die dicht gedrängte Menge bei der Pestalozziwiese an der Zürcher Bahnhofstrasse. Gesprochen werden sie von Yoda Rasmata aus Burkina Faso. Die 35-jährige Frau wird plötzlich auf einem Screen mitten in der Einkaufsstrasse sichtbar. Sie beginnt, ihre Geschichte zu erzählen. Corona hat ihr Leben aus der Bahn geworfen. Die Ernte der Tomatenzüchterin verfaulte während des Lockdowns, sodass sie ihre Familie über Monate hinweg nicht mehr versorgen konnte.
Mit der spontanen Aktion möchte die Schweizer Entwicklungsorganisation Helvetas Corona-Betroffenen aus anderen Kontinenten Gehör verschaffen. Vor dem Globus in Zürich bleibt eine Familie mit Kinderwagen betroffen stehen, ein älterer Herr tritt näher an den Screen. Da klingelt es erneut: Dieses Mal erscheint das Gesicht eines jungen Mannes auf dem Bildschirm.
Wahre Geschichten ‒ mit Happy End
Alpha Sety aus Tansania erzählt von seinem Schulabbruch und seiner fehlenden Perspektive. Pabisara Kandel aus Nepal erklärt, wie sie trotz Lockdown täglich das Haus verlassen musste, um mit vielen anderen Menschen eine weit entfernte Wasserstelle aufzusuchen und in ständiger Angst vor einer Infektion lebte. Berührende Geschichten, die Jung und Alt verharren lassen. Der Weihnachtseinkauf ist für einen Moment vergessen. Aber die Anrufe enden alle mit einer freudigen Nachricht: So erklärt Yoda, dass sie dank Spenden aus der Schweiz neues Saatgut erhalten hat, Alpha konnte eine Ausbildung starten. Und Pabisara hat nun einen eigenen Wasseranschluss zu Hause, während Roline aus Madagaskar nun Gesichtsmasken herstellen und verkaufen kann, um ihre Familie zu ernähren.
Nähe trotz physischer Distanz
«Unser Ziel ist es, mit dieser Aktion denjenigen Menschen eine Plattform zu bieten, die sonst keine Möglichkeit haben, ihre persönliche Geschichte zu erzählen», so Gabriella Brändli Ortiz, die verantwortlich ist für die Aktion. Unzählige Menschen wurden wegen der Corona-Pandemie noch tiefer in die Armut getrieben und sind auf Unterstützung angewiesen, um die schlimmsten wirtschaftlichen und sozialen Folgen zu lindern. Videocalls haben in den letzten Monaten unseren Alltag geprägt und sind zu einer neuen Normalität geworden – sie schaffen Nähe trotz Distanz und lassen die Welt zusammenrücken. Diesen mittlerweile vertrauten Kanal nutzten auch Yoda und weitere Menschen aus aller Welt, um sich in ihrer Notlage über die Landesgrenzen hinweg Gehör zu verschaffen.
Hören Sie zu, sehen Sie hin und seien Sie solidarisch: So der Appell von Helvetas. Das haben die Schweizerinnen und Schweizer gemacht. Und dank Spenden dürfen sich Menschen wie Yoda und Alpha über das schönste Weihnachtsgeschenk der Welt freuen: Hoffnung.