Die Festlegung dieser Grenzwerte berücksichtigt allerdings nicht, wie sich Pestizide – auch in geringer Konzentration – langfristig auf Mensch und Natur auswirken. Ganz zu schweigen von der kombinierten Wirkung verschiedener Pestizide. Beides lässt sich aus methodischen Gründen auch nicht so leicht nachweisen. Also kein Grund zur Sorge? Keineswegs.
Jedes Jahr werden weltweit 3.5 Millionen Tonnen Pestizide eingesetzt, Tausende von Substanzen, die einzig dazu entwickelt wurden, unerwünschte Organismen zu schädigen. Die Mitarbeitenden der Entwicklungsorganisation Helvetas erfahren in ihrer Arbeit immer wieder, wie sich Pestizide in Entwicklungsländern gravierend auf die Gesundheit von Bauern und Bäuerinnen und auf die Umwelt auswirken. So sind in Laos zum Beispiel ganze Landstriche vom Herbizideinsatz bei Mais und Bananen schwer geschädigt.
Auch in der Schweiz werden jährlich 2’200 Tonnen Pestizide in der Landwirtschaft eingesetzt. Im Fall der Neonikotinoide weiss man inzwischen, dass sie bereits in geringsten Konzentrationen eine negative Wirkung auf Immunabwehr, Fruchtbarkeit, Orientierung und Gedächtnisleistung der Bienen haben. Bienen sind vergleichsweise gut erforscht und einfach zu untersuchen. Beim Menschen ist es ungleich schwieriger, Zusammenhänge zwischen Pestizidaufnahme und langfristigen gesundheitlichen Wirkungen zu analysieren. Der jüngste Bericht des Internationalen Expertengremiums zu Nachhaltigen Nahrungssystemen (iPES Food) zeigt die Zusammenhänge zwischen Nahrung und Gesundheit. Epidemiologische Studien deuten darauf hin, dass exponierte Bevölkerungsgruppen ein erhöhtes Risiko für gewisse Erkrankungen wie Krebs, Diabetes und Parkinson sowie für Entwicklungs-, Immun- und Fruchtbarkeitsstörungen aufweisen.
Konsumenten- und Umweltorganisationen fordern deshalb die Regierung auf, endlich Massnahmen für eine substantielle Reduktion des Pestizideinsatzes zu ergreifen. Dies entspricht dem Vorsorgeprinzip. Ein substantieller Anteil der eingesetzten Pestizide sind für den Schutz der Anbaukulturen gar nicht nötig und könnten dank sorgfältiger landwirtschaftlicher Praktiken und nichtchemischer Methoden ohne Ertragseinbussen weggelassen werden. Auch ein weitgehender Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel ist machbar, wie die Praxis des Biolandbaus zeigt. Würde die Forschung vermehrt in die Entwicklung von Alternativen investieren, liesse sich die derzeit noch bestehende Ertragslücke weiter schliessen. Dazu braucht es aber politischen Willen. Der jüngst vom Bundesrat verabschiedete Nationale Aktionsplan Pflanzenschutzmittel zeigt, dass dieser nicht wirklich vorhanden ist. Die Forderungen zahlreicher Organisationen aus Landwirtschafts-, Trinkwasserversorger-, Gewässerschutz-, Umwelt-, Gesundheits- und Konsumentenkreisen sind in der Endfassung kaum berücksichtigt, und die ohnehin wenig ambitionierten Reduktionsziele wurden auf Druck der Agrarindustrie weiter abgeschwächt. Dabei sind die Erwartungen der Konsumentinnen und Konsumenten klar: Sie wollen weniger Agrarchemie in Nahrung und Umwelt – nicht nur, aber auch wegen der Bienen.
Frank Eyhorn ist Berater für nachhaltige Landwirtschaft bei Helvetas, Vize-Präsident des Weltbioverbandes IFOAM und Imker. Dieser Blog erschien am 21. Oktober als Gastbeitrag im Tages-Anzeiger.