Lars Tödter: Die Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit unterstützen das revidierte CO2-Gesetz und argumentieren mit Klimagerechtigkeit. Was ist der Zusammenhang zwischen Klimagerechtigkeit und dem CO2-Gesetz?
Rupa Mukerji: Mit dem CO2-Gesetz übernehmen wir als globale Bürger*innen die Verantwortung, die Ursachen des Klimawandels anzugehen. Die Industrienationen tragen die grösste Verantwortung für die Klimakrise, deren Konsequenzen aber in hohem Masse die Menschen im globalen Süden treffen. Das revidierte CO2-Gesetz definiert klare Emissionsreduktionsziele für die Schweiz, sowohl im Inland als auch im Ausland. Das ist ein wichtiger Schritt zur Minderung der Klimarisiken für Menschen im globalen Süden und somit ein wichtiger Beitrag der Schweiz zur Klimagerechtigkeit.
Warum sind Entwicklungsländer speziell betroffen von der Klimakrise?
Das liegt daran, dass ihre Lebensgrundlagen stark vom Klima abhängig und sie darum stärker exponiert sind. Sie haben begrenzte Ressourcen, Technologien und Know-how, um den Auswirkungen der Klimakrise geeignete Massnahmen entgegen zu setzen.
Sie sprechen von Klimagerechtigkeit - was ist denn “ungerecht”?
Die armen Menschen im globalen Süden haben nicht zur Klimakrise beigetragen. Sie leben in Häusern, die aus natürlichem Material gebaut sind, ohne Heizung, meist ohne Strom. Ihr CO2-Fußabdruck ist winzig, aber sie sind diejenigen, die die Auswirkungen am stärksten tragen und deren Lebensgrundlage zerstört wird.
Können Sie die Auswirkungen der Klimakrise im globalen Süden an einem Beispiel veranschaulichen?
Wir arbeiten seit mehreren Jahren in Bangladesch. Viele Menschen mussten wegen des Anstiegs des Meeresspiegels umgesiedelt werden. Die extremen Überschwemmungen sind eine direkte Konsequenz der Klimaerhitzung. Wasserquellen werden versalzen und können nicht mehr für die Bewässerung genutzt werden. Das erschwert das Betreiben von Landwirtschaft. Es gibt Familien, die schon dreimal umgesiedelt wurden und jedes Mal ihr Hab und Gut verlieren. Viele Eltern können es sich nicht mehr leisten, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Es ist eine Spirale der Armut.
Inwiefern leistet das CO2-Gesetz denn einen Beitrag, solche Spiralen zu durchbrechen?
Das CO2-Gesetz sieht die Schaffung eines Klimafonds aus den Lenkungsabgaben vor. Der Fonds ermöglicht es der Schweiz, in konkrete Massnahmen zur Minderung der Folgen der Klimakrise im globalen Süden zu investieren. Mit dem revidierten CO2-Gesetz anerkennt die Schweiz zudem endlich ihre Emissionen, welche sie durch den Import von Gütern im Ausland verursacht. Diese machen zwei Drittel des CO2-Fussabdrucks der Schweiz aus.
Warum sollte ein kleines Land wie die Schweiz etwas gegen die Klimakrise tun?
Es gibt drei Gründe, warum die Schweiz mehr tun sollte. Erstens: Sie bekommt die Auswirkungen des Klimawandels als Gebirgsland sehr stark zu spüren, weil die Erwärmung durch die Höhenlage der Schweiz doppelt so hoch ist wie im globalen Durchschnitt. Die Risiken für die Schweiz durch Extremereignisse wie etwa Erdrutsche, Überschwemmungen oder Steinschläge sind sehr hoch und stellen für die Bevölkerung und die Wirtschaft eine Bedrohung dar. Zweitens gehört die Schweiz zu den Industrienationen, die auf dem Rücken der fossilen Brennstoffe gewachsen sind. Sie hat eine historische Verantwortung und einen großen CO2-Fußabdruck, der durch Massnahmen in der Schweiz und im Ausland reduziert werden muss. Und drittens spielt der Finanzsektor eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, wohin Investitionen gehen. Als Zentrum des globalen Finanzwesens kann die Schweiz einen grossen Einfluss ausüben.
Warum sind die Industrienationen für die Klimakrise verantwortlich?
Das Wachstum der Industrienationen geschah auf der Basis fossiler Brennstoffe. Natürlich kann man argumentieren, damals noch nicht gewusst zu haben, dass fossile Brennstoffe zur globalen Erwärmung führen. Aber Tatsache ist, dass diese Informationen seit mindestens 50 Jahren verfügbar sind. Die Fossil-Industrie hat aber nichts unternommen. Im Gegenteil: Die wissenschaftlichen Fakten wurden konstant in Frage gestellt. Dadurch ging viel wertvolle Zeit verloren.
Welche Aspekte umfasst der Begriff “Klimagerechtigkeit”?
Klimagerechtigkeit ist eine Bewegung, die anerkennt, dass es im globalen Kontext Ungleichheit gibt. Der Begriff wird aber auch durch unsere jüngeren Generationen geprägt, die nun die Konsequenzen tragen, weil die älteren Generationen nicht gehandelt haben. Auch das ist ungerecht. Darum gehen die Kinder und Jugendlichen auf die Strasse und fordern ihre Rechte ein. Genauso wie viele Länder des globalen Südens, können sie sich kaum an Verhandlungen beteiligen. Es ist Zeit, Raum dafür zu schaffen und Ressourcen zu Verfügung zu stellen für diese Teilhabe.
Wie würde die Schweiz international dastehen ohne CO2-Gesetz?
Selbst die am wenigsten entwickelten Länder gehen mit dem Pariser Klimaabkommen Verpflichtungen ein. Die Schweiz würde die Möglichkeit verlieren, die globale Agenda in einer führenden Rolle mitzugestalten. Auch mit dem CO2-Gesetz gilt: Wenn alle Regierungen nur so viel wie die Schweiz für den Klimaschutz tun würden, würde die durchschnittliche globale Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts zwischen 2 und 3 Grad Celsius betragen, für die Schweiz könnte es doppelt so viel sein. Viele Wirtschaftszweige wären nicht überlebensfähig. Die Schweiz muss ihr Engagement verstärken und eine Führungsrolle im Klimaschutz übernehmen – in ihrem eigenen Interesse!
Kurzbeschreibung:
Rupa Mukerji ist Mitglied der Helvetas-Geschäftsleitung und Senior-Beraterin für Klimawandel. Sie ist als Expertin für Auswirkungen, Anfälligkeit und Anpassung an die Erderhitzung in der Internationalen Arbeitsgruppen des IPCC, dem UN International Panel on Climate Change.