«Die Welt verändert sich zum Besseren. Bedenken Sie, wie wir vor 300 Jahren lebten und heute. Wir schlagen uns nicht mehr die Köpfe ein, für so vieles ist gesorgt. Auch eine Frau kann heute alles erreichen.» Der rechte Populismus, der Egoismus, die schwindende Solidarität bereiten Veronika Meyer zwar Sorgen. Aber sie ist sich sicher, dass dies nur ein Schritt zurück auf dem Weg vorwärts ist. «Die Menschen werden es schaffen, die langfristige Entwicklung ist positiv.» Wenn da nur der Klimawandel nicht wäre. Angesichts der ökologischen Bedrohung fragt sie sich: «Bleibt uns noch genug Zeit?» Als Chemikerin weiss sie, wovon sie spricht. Und doch ist aufgeben für Veronika Meyer keine Option.
Seit jungen Jahren engagiert
Von klein auf war für Veronika Meyer selbstverständlich, dass man nicht nur an sich selber denkt. «Das wurde mir von zuhause mitgegeben. Schon meine Eltern haben immer gespendet. Ich habe mein Leben lang, ab dem ersten Lehrlingslohn, zehn Prozent meines Einkommens für gute Zwecke eingesetzt.» Helvetas unterstützt sie seit über 40 Jahren. Als 23-Jährige besuchte sie 1974 die Jiri-Region, wo Helvetas seit 1958 das wichtigste Bergentwicklungsprojekt umsetzte. Das war Zufall, denn Veronika Meyer war für ein Trekking in den Himalaja gereist. Das Bergsteigen ist ihre grösste Passion. Über 1000 Gipfel hat sie erklommen – und als erste Schweizerin den höchsten Berg aller sieben Kontinente bestiegen. Es waren Gipfelziele, die sie in die weite Welt lockten. Diese Reisen führten sie immer auch zu Menschen. «Ich habe gesehen, wie andere Menschen leben. Das hat mich Respekt und Hochachtung vor den Kulturen gelehrt. Und beim Reisen wird einem auch klar, wie gut es uns geht!» Schon vor etlichen Jahren hat Veronika Meyer eine bedeutende Summe – in Form eines zinslosen Darlehens – in einen Fonds von Helvetas eingezahlt, dessen Erträge in Entwicklungsprojekte fliessen. Wichtig ist ihr besonders die Unterstützung der Frauen: «Wer die Welt entwickeln will, muss die Frauen fördern.» Das Darlehen will sie Helvetas nach ihrem Tod als Legat zukommen lassen. Ein Testament hat die heute 67-Jährige früh verfasst. Als Alpinistin, die zudem mit einem Herzfehler geboren wurde, ist sie sich der Endlichkeit bewusst. «In den Bergen habe ich immer vor Augen, wie schnell es vorbei sein kann.» Das gelte für das ganze Leben. Umso wichtiger sei es, seinen Willen festzuhalten: «Man stirbt ja nicht früher, nur weil man ein Testament hat.»
Generationen in der Verantwortung
Die Berge hat Veronika Meyer schon früh für sich entdeckt. Sonst sieht sie sich in vielem als Spätberufene. Etwa in der Wissenschaft: Erst spät entschied sich die gelernte Chemielaborantin für ein Studium und erlangte 1996 ihre Habilitation – und internationale Anerkennung als Chemikerin. Ihre Dankesrede für einen renommierten Wissenschaftspreis für Chemikerinnen 2017 war ein flammender Appell an die junge Wissenschaftsgeneration: Sie sollten ihre Intelligenz und ihr Können nicht zum Schaden von Mensch oder Natur, sondern einzig für das Gute einsetzen. Nur so könnten sie die lebens- und friedensbedrohenden Herausforderungen bewältigen. Auch zur Politik stiess Veronika Meyer spät. Die Wahl ins St. Galler Stadtparlament führte sie 2014 in eine neue Welt. «Ich fürchte mich ganz grundsätzlich vor nichts, aber ich hatte riesigen Respekt vor der neuen Aufgabe.» Eine Aufgabe, die sie in einer zweiten Legislaturperiode fortsetzen möchte.
Als grüne Politikerin fordert sie, dass ihre Generation Verantwortung übernimmt. «Die Jungen sollen uns nicht vorwerfen müssen, Mist gebaut zu haben. Aber», fügt sie an, «ich bin sicher, das werden sie. Der Klimawandel ist seit 40 Jahren bekannt, man wird uns zu Recht fragen: Warum habt ihr das nicht ernstgenommen und tatenlos zugeschaut?» Sie hat sich vorgenommen, nicht mehr zu fliegen. «Die Klimabelastung ist einfach zu gross, ich bin schon viel zu viel geflogen.» Verteufeln will sie es dennoch nicht, denn Reisen trage entscheidend zum gegenseitigen Verständnis bei. «Deshalb ist es vielleicht nicht falsch, wenn Junge erstmal eine Weltreise machen. So erfahren sie, wie andere leben und wie es auf der Welt läuft.» Das entziehe Vorurteilen den Boden. Doch zuallererst bräuchten junge Menschen eine gute Ausbildung. «Und Kontakt zur Natur. Sie sollen wissen, wo Kartoffeln wachsen, woher die Milch kommt, was in einem Bach lebt. Sie müssen die Welt verstehen, um sich dafür einzusetzen.» Spät auch begann sie für ein breites Publikum zu schreiben. Der Roman «Stromlos» führt am Beispiel von St. Gallen die dramatischen, ja tödlichen Folgen eines totalen Stromausfalls in einer strom- und netzabhängigen Welt vor Augen. Ihr autobiografisches Buch «Gaias Gipfel» dagegen thematisiert, wie die Verantwortung am Berg zu ihrer Lebensschule wurde. Es prahlt nicht mit alpinen Heldentaten, sondern erzählt ehrlich und berührend von Mut und Angst, Krankheit und Tod. Und es handelt von dem, was sich wie ein roter Faden durch Veronika Meyers Leben zieht: vom Dranbleiben und Nicht-Aufgeben. Auch wenn es Geduld und Durchhaltewillen braucht. Wie am Mount Everest, den sie erst beim fünften Anlauf besteigen konnte – doch 2007 stand sie mit 56 Jahren auf dem Gipfel der Welt.