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Corona: Die Krise in der Krise

Kleinbauernbetriebe müssen ihre Widerstandsfähigkeit stärken
VON: Zenebe B. Uraguchi, Geert van Dok - 08. Mai 2020
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Die Corona-Pandemie erschüttert das globale Ernährungssystem, unterbricht landwirtschaftliche Arbeiten und Wertschöpfungsketten und gefährdet die Ernährungssicherheit. Für Kleinbauernfamilien stellt die Coronakrise eine existenzielle Bedrohung dar. Mit nachhaltiger Landwirtschaft und Stärkung des vorhandenen Wissens über traditionelle, lokale Methoden könnten Kleinbauernbetriebe zuversichtlicher in die Zukunft blicken. Doch dafür braucht es internationale Unterstützung.

Corona wütet vor allem in Städten. Doch nicht nur die leeren Regale städtischer Supermärkte sind bedrohlich. Ebenso verheerend sind für Millionen von Menschen auf dem Land brache Felder und leere Scheunen, verrottende Nahrungsmittel oder gelagerte Produkte, die nicht verkauft werden können.

Die Corona-Pandemie gefährdet die weltweite Ernährungssicherheit. Für Kleinbauern und Landarbeiterinnen, die Hersteller von Düngemittel, Saatgut oder Tierarzneimittel, die Verarbeitungs- und Transportbetriebe und den Einzelhandel wird sie zum existenziellen Risiko. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) schätzt, dass weltweit 2,5 Milliarden Menschen in Entwicklungsländern von der Landwirtschaft abhängen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Eine Krise in der Krise

Ernährungssysteme sind komplexe Netzwerke zur Herstellung, Verarbeitung und Verteilung von Nahrungsmitteln. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern haben darin eine tragende Rolle, leben aber oft in prekären Verhältnissen, in denen es ihnen an grundlegenden Dienstleistungen fehlt – etwa an einer funktionierenden Gesundheitsversorgung oder an zuverlässigen Transportmöglichkeiten.

Auch ohne Corona-Pandemie sind Kleinbauernfamilien in Entwicklungsländern von verschiedensten Katastrophen und Krisen betroffen – von schweren Dürren und Missernten als Folgen des Klimawandels, von schwankenden Agrarpreisen und aktuell auch von einer verheerenden Heuschreckenplage, die seit Monaten insbesondere in Kenia, Äthiopien und Somalia wütet und die Existenz von Millionen Menschen bedroht: Schon ein kleiner Schwarm von einem Quadratkilometer Grösse frisst pro Tag so viel Nahrung wie 35'000 Menschen essen, wobei einzelne Schwärme aber einen Umfang von bis zu 60 mal 40 Kilometer haben. Dabei verhindern die mit Corona verbundenen Flugbeschränkungen derzeit unter anderem den Einsatz von Hubschraubern zur Überwachung der Schwärme.

Mit der Corona-Pandemie kommt eine Krise hinzu, deren Ausmass noch nicht absehbar ist. Sie gefährdet das an sich schon niedrige Einkommen und die geringe Produktivität vieler Kleinbauernfamilien: Je nach Land dürfen sie nicht mehr auf ihren Feldern arbeiten oder können ihre Produkte nicht verkaufen und keine Betriebsmittel kaufen, weil die Märkte geschlossen wurden. Hinzu kommt eine sinkende Nachfrage nach Lebensmitteln, da viele Menschen wegen Arbeitsplatz- und Einkommensverlust weniger einkaufen können. Kleinbauernbetriebe sind aber auf eine ausreichende Ernte und deren Verkauf angewiesen, nicht nur für den Lebensunterhalt, sondern auch um allfällige Schulden zu begleichen und den Anbau für die nächste Saison vorzubereiten. Als Folge der Pandemie befinden sich viele von Armut betroffenen oder bedrohten Gemeinschaften in einer verzweifelten Situation, denn Ausweichmöglichkeiten gibt es keine, und sie verfügen kaum über die nötigen Kapazitäten zur Bewältigung der Krise.

Stärkung der Widerstandsfähigkeit 

Die Corona-Pandemie untergräbt die in den vergangenen Jahren aufgebauten Lebensgrundlagen und Entwicklungserfolge und wirft viele Menschen in die Armut zurück. Damit die betroffenen Gemeinschaften gestärkt werden, wenn es darum geht, nach einer schrittweisen Erholung von der Krise den Übergang in eine «neue Normalität» des Zusammenlebens mit dem Virus zu gestalten, muss der Fokus konsequent auf Nachhaltigkeit liegen. Ausmass, Geschwindigkeit und Qualität der Erholung und Anpassung werden davon abhängen, ob die richtigen Massnahmen ergriffen und während des ganzen Corona-Zyklus’ nötigenfalls aktualisiert werden. Das bedeutet dreierlei:

Erstens: Auch verletzliche, von der Krise bedrohte Gruppen unterstützen. Mit kurzfristigen Massnahmen müssen die durch die Pandemie verursachten wirtschaftlichen Schäden minimiert werden. Dazu gehören zunächst Geldtransfers und Nahrungsmittelhilfe, die einerseits das Überleben der betroffenen Kleinbauernbetrieben sichern und andererseits allen verletzlichen und krisenanfälligen Gruppen zugutekommen. Der Weg zur Erholung verlangt jedoch koordinierte Anstrengungen, die weit über sofortige, lebensrettende Unterstützung hinausgehen: Es geht darum, Landwirtschaft und Lebensmittelsysteme produktiver zu machen und an vorhandene Risiken anzupassen, ohne dass dabei das Klima weiter Schaden nimmt.

Zweitens: Auf lokale Fähigkeiten setzen. Unterstützungsmassnahmen müssen dazu beitragen, bäuerliche Gemeinschaften widerstandsfähig zu machen. Kleinbauernbetriebe in Entwicklungsländern sind pro Hektar meist produktiver als Grossbetriebe und bieten mehr Arbeitsplätze. In Abwesenheit staatlicher Sicherheitssysteme verfügen Kleinbauernfamilien über informelle soziale und wirtschaftliche Netze, um Risiken aufzufangen und sich an Veränderungen anzupassen, und sie erneuern diese kontinuierlich. Sie sind aber auch verwundbarer und haben nur begrenzt Zugang zu Märkten und Dienstleistungen. Das muss verbessert werden. Gleichzeitig müssen beim Wiederaufbau, also beim Übergang in die neue «Normalität» («building back better») die vielfältigen Betriebsmodelle und Lebensunterhaltsstrategien berücksichtigt werden: Die meisten Kleinbauernfamilien arbeiten ergänzend zur Landwirtschaft im informellen Sektor, um ihre Existenz zu sichern.

Drittens: Internationale Hilfe für nachhaltige Ernährungssysteme verstärken. Kein Entwicklungsland kann die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie allein bewältigen. Daher braucht es heute umso mehr globale Solidarität bei der Finanzierung und langfristigen Absicherung von wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltigen Ernährungssystemen. Dass sich die wohlhabenden Länder während und direkt nach der Pandemie nach innen wenden, ist verständlich aber langfristig gefährlich. Es liegt im Interesse aller, dass das Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit intensiviert wird, um die Widerstandsfähigkeit der Menschen und der Wirtschaft, speziell auch der Ernährungssysteme, zu stärken.