Gegner der Konzernverantwortungsinitiative plädieren, anstelle von einer «Verrechtlichung» von Vergehen zu sprechen, den gesellschaftlichen Dialog zu suchen. Doch Verletzungen von geltendem Recht werden hierzulande nicht im Dialog geregelt, sondern gerichtlich geahndet. Zudem gibt es keine Augenhöhe zwischen Grosskonzernen und kleinen Gemeinschaften. Das Manöver der Gegner ist durchsichtig: Sie wollen einen Erfolg der Konzernverantwortungsinitiative an der Urne unbedingt verhindern.
Weil die Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zum frühzeitigen Abbruch der Frühjahrssession des Eidgenössischen Parlaments führten, konnte das Parlament auch das Geschäft 16.077 «OR. Aktienrecht» nicht zu Ende beraten. Damit ist weiterhin offen, ob sich National- und Ständerat doch noch auf einen vernünftigen Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative einigen können, der den Initiantinnen und Initianten den Rückzug ihrer Initiative erlauben würde.
Das Hin und Her zwischen den beiden Kammern während der ersten beiden Sessionswochen brachte in dieser Hinsicht kaum neue Erkenntnisse. Fast gebetsmühlenartig wiederholten die Gegnerinnen und Gegner jeglicher neuer Haftungsnormen ihr Argument, der Gegenvorschlag führe ebenso wie die Initiative zu einer unnötigen «Verrechtlichung» des gesellschaftlichen Dialogs. Damit suggerieren sie, allfällige Verfehlungen von Schweizer Konzernen würden bereits heute eingehend diskutiert und ein Dialog mit den Direktbetroffenen sei allemal zielführender als ein juristisches Verfahren.
Rechtsverständnis und gesunder Menschenverstand
Der Begriff «Verrechtlichung» ist dabei gleich in zweifacher Hinsicht irreführend. Erstens spricht nichts dagegen, bei offenkundigen Verletzungen des geltenden Rechts zu juristischen Mitteln zu greifen, um die fehlbare Partei zu sanktionieren. Im Gegenteil: Es entspricht dem allgemeinen Rechtsverständnis und dem gesunden Menschenverstand, dass jemand für einen verursachten Schaden geradestehen muss, sei es bei einem Diebstahl, einer Körperverletzung – oder eben bei der Vergiftung von Menschen durch unsachgemäss entsorgte Giftstoffe im Jahre 2018, wie dies jüngst Glencore im Tschad nachgewiesen wurde. Glencore schreibt auf ihrer Homepage «Wir möchten in unserer Branche eine führende Rolle im Bereich Sicherheit übernehmen und Arbeitsplätze anbieten, an denen es zu keinen berufsbedingten Erkrankungen, Verletzungen oder gar Todesfällen kommt.» Wenn dem so ist, muss Glencore auch bereit sein, Verfehlungen gerichtlich beurteilen zu lassen. Im Dialog jedenfalls lässt sich das nicht bereinigen.
Bei einem vergleichbaren Schadensfall in der Schweiz würde sich wohl kaum jemand mit einem «gesellschaftlichen Dialog» zufriedengeben. Stattdessen würden ein Verfahren, Sanktionen und Wiedergutmachung folgen, und niemandem käme es in den Sinn, dabei eine unnötige «Verrechtlichung» zu monieren. Viele Politikerinnen und Politiker, die sonst gerne eine vermeintliche Kuscheljustiz beklagen und eine harte Linie fordern, unterstützen nun aber den zahnlosen Gegenvorschlag des Bundesrates, der keinerlei Sanktionsmöglichkeiten vorsieht und nachweislich nichts bewirkt.
Keine Augenhöhe
Zweitens suggeriert ein «gesellschaftlicher Dialog» den Austausch auf Augenhöhe zwischen Konzernen und Zivilbevölkerung. In der Schweiz mag ein solcher Dialog je nach Thema und Streitfall im Ansatz stattfinden, in den betroffenen Ländern sieht die Realität jedoch ganz anders aus. Wie im erwähnten Fall von Glencore im Tschad stehen sich meistens ein milliardenschwerer Weltkonzern und eine kleine lokale Gemeinschaft gegenüber – auf der einen Seite eine riesige, finanzstarke Institution mit den nötigen Mitteln, einer eigenen Rechtsabteilung, der umfassenden Kenntnis internationalen und nationalen Rechts sowie mit guten Beziehungen zu nationalen Behörden. Auf der anderen Seite steht eine Gemeindebehörde, eine Bauerngewerkschaft oder eine lokale Interessensgruppe ohne nennenswerte Mittel, ohne Zugang zu Information und ohne potente Unterstützer. Dialog auf Augenhöhe? Das Machtungleichgewicht ist offensichtlich und eklatant.
Helvetas kennt solche Fälle aus der eigenen Arbeit. Insbesondere in West- und Ostafrika, aber auch in Südostasien hat das Interesse internationaler Investoren an Boden, Wald und anderen natürlichen Ressourcen über die letzten Jahre massiv zugenommen. Damit ist gleichzeitig der Druck auf die ansässige Bevölkerung stark gestiegen.
Das Beispiel Mosambik
Ein Beispiel zur Illustration: Im Norden Mosambiks wehrt sich die lokale Bauerngewerkschaft gegen die Pläne eines US-Energiekonzerns zur Ausbeutung der riesigen Erdgasvorkommen vor und entlang der Küste bei Cabo Delgado. Im Zuge des Projekts kam es wiederholt zu Landenteignungen, und Menschen verloren buchstäblich über Nacht den Zugang zu ihrer Lebensgrundlage. Vorgängige Informationsveranstaltungen fanden zwar statt, die Betroffenen hatten dabei aber keinerlei Möglichkeit, Einsprache gegen die Pläne der Investoren zu erheben. Stattdessen mussten sie sich mit dem zufriedengeben, was man ihnen anbot: Umsiedlungen in teils weit entfernte Gegenden, unzureichende Kompensationen, Landersatz von minderer Qualität. So begann die Bauerngewerkschaft im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten, Fälle zu dokumentieren, die Leute zu informieren und zu organisieren. Ein fast aussichtloses Unterfangen angesichts der wirtschaftlichen Übermacht des Gegenübers sowie der Grösse des betroffenen Gebiets. Dennoch gaben die Behörden den Gewerkschaftern schon bald zu verstehen, doch besser die Finger von der Sache zu lassen, und es kam zu mehreren Verhaftungen von Journalisten, die in der Provinz recherchierten. Gleichzeitig machte der Energiekonzern der Gewerkschaft ein finanzielles Angebot, was diese in ein moralisches Dilemma stürzte und fast zu ihrer Spaltung geführt hätte. Zugunsten der eigenen Glaubwürdigkeit entschied man sich schliesslich gegen das dringend benötigte Geld.
In diesem Fall ist kein Schweizer Konzern involviert. Doch das Beispiel illustriert eindrücklich das ungleiche Verhältnis zwischen Investoren, Behörden und Direktbetroffenen. Die Aussicht darauf, sich in gewissen Fällen juristisch zur Wehr setzen zu können, würde die Position lokaler Gemeinschaften wenigstens zum Teil stärken. Ein «gesellschaftlicher Dialog» jedenfalls, der diesen Namen verdient hätte, liegt für die meisten von ihnen in weiter Ferne.