Rote Karte für Waffenexporte in Bürgerkriegsländer

Zur Korrektur-Initiative und dem indirekten Gegenvorschlag
VON: Geert van Dok - 05. Juni 2020

Die Korrektur-Initiative will verhindern, dass die Schweiz Kriegsmaterial in Bürgerkriegsländer exportiert. Der Bundesrat legt einen indirekten Gegenvorschlag vor: Mit Ausnahmeregeln will er weiterhin in eigener Kompetenz Bewilligungen erteilen können – auch in Länder mit Menschenrechtsverletzungen oder Bürgerkriegsländer. Die laufende Vernehmlassung dazu ermöglicht es Organisationen und Einzelpersonen, diesem Ansinnen den Riegel zu schieben.

Selten erreichte eine Volksinitiative die notwendigen Unterschriften in derart kurzer Zeit wie die Initiative «Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer (Korrektur-Initiative)». Im Dezember 2018 lanciert, hatten zwei Monate später bereits über 100'000 Personen unterschrieben. Am 16. Juli 2019 kam sie offiziell mit über 126'000 Stimmen zustande. Ihre breite Verankerung in der Bevölkerung, in der Zivilgesellschaft und bis weit in die Mitte des politischen Spektrums deutet auf einen Erfolg an der Urne hin. Dies veranlasste den Bundesrat, der Initiative einen indirekten Gegenentwurf entgegen zu stellen. Dieser ist noch bis zum 28. Juni in der Vernehmlassung.

Die Vorgeschichte: Gelockerte Kriterien für Waffenexporte

Schon 2014 hatte eine vom Bundesrat verfügte Exportlockerung für Kriegsmaterial zu vehementen Protesten der Zivilgesellschaft geführt: Seither kann er für Exporte in Länder, die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzen, eine Bewilligung erteilen, falls nur «ein geringes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird».

Als der Bundesrat dann am 15. Juni 2018 bekannt gab, dass er die Ausfuhr von Kriegsmaterial in Bürgerkriegsländer ermöglichen will, war der öffentliche Aufschrei unüberhörbar. Die Kriegsmaterialverordnung sollte so verändert werden, dass im Einzelfall eine Ausfuhrbewilligung in Länder, die in einen internen Konflikt verwickelt sind, erteilt werden kann, wenn kein Grund zur Annahme besteht, dass das Kriegsmaterial im internen bewaffneten Konflikt eingesetzt wird. Und weiter wollte der Bundesrat der «Aufrechterhaltung einer auf die Bedürfnisse der Landesverteidigung ausgerichteten industriellen Kapazität» bei der Beurteilung genügend Rechnung tragen können. Damit beugte sich der Bundesrat trotz vorgängiger Proteste aus Politik und Zivilgesellschaft dem Drängen der Schweizer Rüstungsindustrie nach Absatzmöglichkeiten.

Die Initiative: Rote Karte für die Lockerungen

Eine Verordnung zu ändern, liegt in der Kompetenz des Bundesrats, ohne demokratische Mitwirkungsmöglichkeit und Kontrolle seitens des Parlaments. Doch das Unverständnis der Öffentlichkeit sowie die fehlende politische Unterstützung brachte den Bundesrat zur Vernunft: Nachdem sich im September 2018 linke und Mitte-Parteien, zivilgesellschaftliche Organisationen und kirchliche Kreise zur «Allianz gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer» zusammengeschlossen hatten, um die geplante Anpassung der Kriegsmaterialverordnung zu bekämpfen, verzichtete der Bundesrat Ende Oktober 2018 auf die Verordnungsänderung. Gleichzeitig hatte die Allianz angekündigt, bei genügend Zuspruch aus der Öffentlichkeit eine «Korrektur-Initiative» zu ergreifen, um dem Bundesrat per Verfassungsartikel die Kompetenz, die Kriterien für Ausfuhrbewilligungen zu ändern, zu entziehen.

Nachdem sich auf ihren Unterstützungsaufruf hin innert einer Woche 50'000 Personen bereit erklärt hatten, je vier Unterschiften für eine Initiative zu sammeln, lancierte die Allianz am 11. Dezember 2018 die Korrektur-Initiative. Die Allianz und mit ihr über 40 unterstützende Organisationen einschliesslich Helvetas fordern darin:

  1. Mehr demokratische Kontrolle und Mitsprache bei den Kriegsmaterialexporten: Die Regelungen dürfen nicht per Verordnung vom Bundesrat beschlossen, sondern müssen auf Verfassungs- oder Gesetzesebene unter Mitwirkung von Bevölkerung und Parlament festgeschrieben werden.
  2. Keine Kriegsmaterialexporte in Länder, die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzen.
  3. Keine Kriegsmaterialexporte in Länder, die an einem internen oder internationalen bewaffneten Konflikt beteiligt sind.

Helvetas-Präsidentin Therese Frösch, Co-Präsidentin der Allianz und Mitglied des Initiativkomitees, sagt dazu: «Einer grossen Mehrheit der Bevölkerung sind Frieden und Menschenrechte wichtig. Schweizer Waffenexporte in Bürgerkriegsländer lassen sich damit nicht vereinbaren. Dies muss auch der Bundesrat zu Kenntnis nehmen.»

Der Gegenvorschlag: Lockerung durch die Hintertür?

Um eine strenge Regelung auf Verfassungsstufe zu verhindern, beschloss der Bundesrat im Dezember 2019, die Initiative nicht nur zur Ablehnung zu empfehlen, sondern ihr einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberzustellen. Am 20. März 2020, kurz nach dem Corona-Shutdown, legte er zwei Varianten eines Gesetzesentwurfs vor und eröffnete dazu ein Vernehmlassungsverfahren. Bis zum 29. Juni 2020 können Parteien, Organisationen und Einzelpersonen zu den beiden Varianten Stellung nehmen. Anschliessend geht das Geschäft – Initiative und Gegenvorschlag – in die parlamentarische Beratung.

Ein Blick auf die beiden Varianten zeigt, dass der Bundesrat eine strenge gesetzliche Regelung, die seine Entscheidungskompetenzen einschränken würde, möglichst verhindern möchte. Zwar werden in beiden Varianten die bereits bestehenden Bewilligungskriterien der Verordnung (Art. 5, Absatz 1-2) in das Kriegsmaterialgesetz überführt. Doch in der vom Bundesrat bevorzugten Variante 1 gibt es zusätzlich zwei unannehmbare Punkte: Erstens soll eine Bewilligung erteilt werden können, «wenn ein geringes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial zur Begehung von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird» (Art. 22a, Absatz 4). Zweitens soll dem Bundesrat erlaubt sein, von den Bewilligungskriterien abzuweichen, «wenn ausserordentliche Umstände vorliegen oder die Wahrung der aussen- oder der sicherheitspolitischen Interessen des Landes dies erfordert» (Art. 22b, Absatz 1). Dazu gehört zum Beispiel die Aufrechterhaltung der «sicherheitsrelevanten Technologie- und Industriebasis» oder anders formuliert: die Eigeninteressen der Schweizer Rüstungsindustrie. Mit dieser Abweichungskompetenz für den Bundesrat wären dann letztlich auch Ausfuhren in Bürgerkriegsländer möglich. In Variante 2 hingegen sind die beiden Ausnahmeregeln nicht enthalten. Damit entspricht sie den drei obengenannten Hauptforderungen der Korrektur-Initiative.

Die Vernehmlassung: Am Lockerungsverbot festhalten

Nun sind alle Organisationen, Verbände und Einzelpersonen, die eine Lockerung der Bewilligungskriterien für Kriegsmaterialexporte aus der Schweiz verhindern wollen, aufgefordert, sich im Rahmen der Vernehmlassung zu den vorgelegten Varianten zu äussern. Dabei ist Variante 1 aus Sicht der Initiative unannehmbar, Variante 2 hingegen akzeptabel.

Die Allianz gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer hat immer betont, dass sie im Falle eines vernünftigen Gegenvorschlags, der ihre Hauptforderungen erfüllt, bereit sei, den Rückzug der Korrektur-Initiative ins Auge zu fassen. Dies würde voraussetzen, dass Variante 2 vom Parlament als Artikel 22a des Kriegsmaterialgesetzes unverwässert beschlossen und dass kein Referendum ergriffen wird. Sollte das Parlament der Variante 1 den Vorzug geben, wäre die rote Linie für die Allianz sicherlich überschritten und sie würde an der Initiative festhalten. Dies gilt auch für Helvetas.