Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ist jünger als 30 Jahre alt. Doch in der Politik dominieren die Älteren, vor allem alte Männer. Trotz Bemühungen der UNO hat sich daran in den letzten Jahren nichts geändert. Mit Blick auf die drängenden globalen Herausforderungen ist es höchste Zeit, dass die Jugend ihre Anliegen direkt einbringen und die Politik mitgestalten kann. Nur so kann das Vertrauen in die politischen Institutionen langfristig gestärkt werden.
Seit über zwanzig Jahren findet jeweils am 12. August der International Youth Day der UNO statt. Doch noch immer liegt das damit verbundene Ziel, dass sich Jugendliche an der Politik beteiligen können, in weiter Ferne. Beim diesjährigen Tag stand das «Engagement der Jugend für globale Aktionen» im Zentrum: Es geht darum, wie die Vertretung und das Engagement junger Menschen in der formellen Politik auf lokaler, nationaler und globaler Ebene verbessert werden können. Denn angesichts der zunehmend polarisierten Welt und der Unfähigkeit der Entscheidungsträgerinnen und -träger, Lösungen für die drängenden Herausforderungen und Bedrohungen zu finden und gemeinsam zu handeln, schwindet gerade bei der jungen Generation das Vertrauen in die Politik und ihre Institutionen. Ohne deren aktive Teilhabe wird es aber nicht möglich sein, das internationale System zu stärken.
Ergraute Männer bestimmen die Politik
Weltweit sind nur zwei Prozent der Parlamentarierinnen und Parlamentarier jünger als 30 Jahre alt. Bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen treten im Herbst zwei Kandidaten gegeneinander an, die mit 74 und 77 Jahren das Pensionsalter weit überschritten haben. In Kamerun regiert der 87-jährige Paul Biya, in Nigeria der 77-jährige Muhammadu Buhari – um nur zwei der vielen alten Männer zu nennen, die im Kontinent mit der jüngsten Bevölkerung an der Macht sind.
Die Schweiz ist keine Ausnahme. Im Durchschnitt ist hierzulande eine Nationalrätin 49, ein Ständerat 55 Jahre alt. Damit sind die Parlamentarierinnen und Parlamentarier heute im Schnitt rund zehn Jahre älter als 1849. Am ältesten waren die Schweizer Abgeordneten übrigens im Jahr 1960; also kurz bevor sich die 68er-Bewegung gegen die konservative Nachkriegsgesellschaft auflehnte.
Häufig wird argumentiert, die Bevölkerung profitiere von der grossen Lebens- und Politikerfahrung ihrer längst ergrauten Staatsoberhäupter. Das mag in gewissen Fällen stimmen. Doch dabei geht vergessen, dass sich globale Krisen wie der Klimawandel oder die soziale Ungleichheit in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch zugespitzt haben. Ob alteingesessene Politiker offen für innovative Lösungen und einen radikalen Kurswechsel in ihrer Politik sind, kann bezweifelt werden.
Viele Jugendliche fühlen sich von der Politik übergangen
Dass die junge Bevölkerung in der Politik derart unterrepräsentiert ist, hat verschiedene Gründe: Ein Wahlkampf ist teuer, viele junge Kandidierende werden von der Bevölkerung und der amtierenden Politikerkaste als unerfahrene Politneulinge belächelt und die meisten sind zu wenig gut vernetzt.
Wir junge Erwachsene sind in den Regierungen krass untervertreten – und damit auch unsere Anliegen. Die Hälfte der Schweizer Jugendlichen ist laut dem Politikmonitor 2018 von Easyvote der Ansicht, die Politik entscheide über ihre Köpfe hinweg. Ein Drittel fühlt sich von den Politikern und Politikerinnen nicht ernstgenommen. International sind gar die Hälfte aller jungen Erwachsenen dieser Ansicht, wie eine gross angelegte Ipsos-Studie im Auftrag der Gates Foundation zeigt.
Trotzdem oder gerade deshalb verzichten viele jungen Frauen und Männer auf die einfachste Form der demokratischen Teilhabe. In der Schweiz stimmen 18- bis 25-jährige unregelmässiger ab als ältere Altersklassen. Sie gehen vor allem dann an die Urne, wenn es sich um Vorlagen handelt, die sie direkt betreffen, wichtig für sie sind, öffentlich diskutiert werden oder die schlicht weniger komplex sind. Aktuelle Studien zeigen, dass auch in Afrika (untersucht wurden 36 Staaten) und Ost- und Südostasien (12 Staaten) Jugendliche seltener abstimmen als ältere Vergleichsgruppen.
Spontanes und unverbindliches Engagement ist beliebt
Immer weniger junge Menschen nehmen über politische Parteien oder Wahlen an der Politik teil. Viele können sich mit der etablierten Politik nicht mehr identifizieren. Ausserdem erschweren strukturelle Barrieren den Zugang zur institutionellen Politik. Weltweit weichen junge Menschen deshalb auf alternative Möglichkeiten aus, um die Gesellschaft mitzugestalten. In vielen Ländern sind Demonstrationen, Lobbyismus oder Öffentlichkeitsarbeit gerade bei jungen Frauen und Männern beliebter, wie die genannten Studien zu Afrika und Ost- und Südostasien nahelegen.
In der Schweiz engagiert sich die Mehrheit der Jugendlichen lieber einzeln und spontan, als dass sie sich einer fixen politischen Gruppe anschliesst, hält der Politikmonitor 2018 fest. Das Internet hat diesen Trend zur Individualisierung ermöglicht und beschleunigt. Auf Plattformen wie Facebook oder Instagram können politisch Gleichgesinnte sich finden, austauschen und organisieren – kurzfristig und über Ländergrenzen hinweg.
Auch die Klimabewegung benötigt die institutionelle Politik
Beispielhaft für diese Verschiebung der politischen Beteiligung ist die globale Klimabewegung. Weil die Regierungen bislang keine befriedigenden Massnahmen gegen den Klimawandel ergriffen haben, üben Jugendliche von der Strasse aus Druck auf das etablierte politische System aus. Aus einer Handvoll Klimastreiks wurden Tausende, Hunderttausende und bald einmal Millionen – die FridaysForFuture-Bewegung hatte ihren Anfang im August 2018 und verbreitete sich unter anderem dank der sozialen Medien in Windeseile.
Seit der Coronakrise ist es ruhiger um die Klimabewegung geworden. Zwar blieben die Aktivistinnen und Aktivisten im ständigen Austausch und konnten virtuelle Klimastreiks durchführen. Aber zumindest kurzfristig hat die Pandemie die Klimakrise überschattet. Umso wichtiger ist es für die Bewegung, dass sich Politikerinnen und Politiker trotz Corona für zielführende Massnahmen gegen den Klimawandel einsetzen. Denn sie sind es, die die politischen Entscheidungen nun mal treffen.
Die Politik von heute prägt die Welt von morgen
Die junge Generation ist nicht so politikverdrossen, wie oft behauptet wird. Vielmehr ist vielen die Art und Weise fremd, wie Politik stattfindet. Der Klimawandel oder die Coronakrise zeigen jedoch: Die Politik von heute prägt die Welt von morgen. Deshalb müssen wir jungen Frauen und Männer mehr Mitspracherecht in der Politik einfordern – und dieses auch erhalten. Geschieht dies nicht, wird die Unzufriedenheit populistischen und nationalistischen Kräfte Auftrieb verleihen. Globale Probleme können so kaum gelöst werden.
Derweil blickt die Mehrheit der Jugendlichen durchaus optimistisch in die Zukunft: Laut der genannten länderübergreifenden Ipsos-Studie glauben zwei Drittel, dass unsere Generation die Welt zum Besseren verändern kann. Wenn man uns nur lässt.
Ines Häfliger (23) ist Kommunikations-Praktikantin bei Helvetas