Der nach den Wahlen im Oktober 2019 vielfach beschworene Linkrutsch fand nicht statt. Die Stossrichtung des neuen Parlaments ist grün und bürgerlich. Entwicklungspolitisch bedeutet das: keine Chance für einen vernünftigen Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative oder für eine Erhöhung der dringend benötigten Gelder für die internationale Zusammenarbeit. Nur bei der CO2-Gesetzesrevision wollte das Parlament von der rechtsnationalen Blockadepolitik nichts wissen.
Dass sich der Klimawandel und das Engagement der Klimabewegung auf das Ergebnis der Eidgenössischen Wahlen im Oktober 2019 auswirken würde, war zu erwarten gewesen. Folgerichtig konnten die grünen Kräfte ihr Gewicht im Parlament deutlich verstärken. Dies verleitete viele Beobachterinnen und Beobachter zur Annahme, damit habe sich das ganze Parlament auch politisch nach links verlagert, zumal auch die bürgerlichen Fraktionen jünger und scheinbar fortschrittlicher wurden. Manche Medien glaubten gar, einen «historischen Linksrutsch» zu erkennen.
Tatsächlich haben die bürgerlichen Parteien rechts der Mitte ihre Mehrheit an Sitzen verloren. Doch das parlamentarische Geschehen deutet seither darauf hin, dass sie ihre Reihen nun besser schliessen als noch in der letzten Legislatur, als ihnen trotz klarer Mehrheit kein Durchmarsch gelang. Vorausschauend stellte die internationale Presse von Deutschland über Italien bis nach New York schon direkt nach den Wahlen fest, es habe zwar eine grüne Welle in der Schweiz gegeben, aber «Konsequenzen auf die Regierung habe die Rekordwahl nicht».
Der Start des neuen Parlaments
In der ersten Session des neuen Parlaments im Dezember 2019 standen keine aussenpolitischen Entscheidungen an, bei denen sich die neuen Kräfteverhältnisse hätten zeigen können. Die deutliche Zustimmung zum Bundesbeschluss über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge, der den Kauf neuer Kampfjets für bis zu 6 Milliarden Franken ermöglicht (123:68 Stimmen im Nationalrat, 33:10 im Ständerat), war aber bereits ein Indiz dafür, dass ein Teil der grünen Kräfte ansonsten bürgerliche Politik betreibt und dass sich daher nicht allzu viel verschieben würde.
Die von der Coronakrise geprägte Frühjahrsession 2020 wurde kurzfristig um eine Woche verkürzt, wodurch wichtige Geschäfte verschoben wurden. Wenig Linksdrall war beim Nationalrat bei der Ablehnung der Initiative «Für ein Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten» zu spüren (120:71 Stimmen). Auch von schärferen Regeln gegen die Geldwäscherei wollte die grosse Kammer nichts wissen. Sie trat mit 107 zu 89 Stimmen gar nicht erst auf die vom Bundesrat vorgelegte Gesetzesänderung ein.
Überraschend aber beschloss der Nationalrat in der ausserordentlichen Session im Mai 2020 mit 93 zu 88 Stimmen, dass Unternehmen, die wegen der Corona-Krise Entschädigungen für Kurzarbeit beziehen, 2020 und 2021 keine Dividenden ausschütten dürfen. Der Beschluss schlug laut NZZ ein «wie eine Bombe», wurde aber schon am nächsten Tag vom Ständerat mit 31 zu 10 Stimmen versenkt. FDP-Ständerat Ruedi Noser meinte in der Debatte, dass der Nationalrat «die ganze Wirtschaft verunsichert» habe und wohl nicht alle Nationalratsmitglieder gewusst hätten, «was sie getan haben». Das war unverblümte wirtschaftliche Interessenspolitik.
Im Sommer 2020: zweimal bürgerlich, einmal grün
In der Sommersession 2020 wurden dann die Kräfteverhältnisse erneut sehr deutlich: Das Parlament ist in seiner Gesamtheit zwar deutlich grüner als vor den Wahlen 2019, bleibt aber bürgerlich-liberal. Zeigt sich der Nationalrat etwas fortschrittlicher, wird er vom Ständerat zurückgepfiffen – so auch beim indirekten Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative: Nachdem der Nationalrat im Sommer 2019 einen vernünftigen indirekten Gegenvorschlag gutgeheissen hatte, der sogar einen Rückzug der Initiative hätte bewirken können, stemmte sich erneut Ruedi Noser im Ständerat dagegen und bereitete mit Erfolg das Terrain für eine von Bundesrätin Karin Keller-Sutter vorgeschlagene und vom Bundesrat nachträglich eingebrachte, zahnlose Alternative. Während der Nationalrat seinen «vernünftigen» Vorschlag verteidigte, hielt der Ständerat an der Idee fest, die Unternehmen sollten ihre Verantwortung freiwillig wahrnehmen und mit Hochglanzbroschüren belegen. In der parlamentarischen «Nachspielzeit» obsiegte auf Antrag der Einigungskonferenz beider Kammern der weichgespülte Vorschlag des Ständerats. Die Gruppe der «Standfesten» im Nationalrat war um rund 20 Stimmen geschrumpft.
Der bürgerliche Kurs des Nationalrats setzt sich auch bei der Debatte um die Rahmenkredite 2021-2024 für die internationale Zusammenarbeit durch. Der Rat folgte nicht einmal dem Mehrheitsantrag seiner Aussenpolitischen Kommission, eine symbolische Erhöhung der Mittel um rund 2% gutzuheissen. Dies hätte eine Erhöhung der «Öffentlichen Entwicklungshilfe» der Schweiz auf rund 0,5% des Bruttonationaleinkommens bedeutet. Dass war der Rechten zu viel. Mit dem vordergründigen Hinweis auf die Corona-Kosten wurde der Kommissionsantrag zugunsten der Vorlage des Bundesrats knapp versenkt. Der Ständerat wird dies – das lässt sich schon jetzt prognostizieren – in der Herbstsession bestätigen.
Die grüne Welle im Nationalrat zeigte sich immerhin bei der Totalrevision des CO2-Gesetzes. In der Wintersession 2018 hatte er die Vorlage – noch in alter Zusammensetzung – bis zur Unkenntlichkeit verwässert und schliesslich abgelehnt. Inzwischen haben sich alle Fraktionen bis weit ins bürgerliche Lager dem Klimaschutz verschrieben. Zu stark war der Druck der Strasse und der Wissenschaft. So war es dem Nationalrat im Juni ein Leichtes, mit grüner Kelle anzurühren. Nicht, dass die Beschlüsse den Zielen des Pariser Klimaabkommens genügen würden, aber das hatten nicht mal die «Klima-Turbos» erwartet. Es wurden aber wichtige Schritte zugunsten des Klimaschutzes beschlossen, wie auch die Klima-Allianz bilanziert. Nun muss der Ständerat die Beschlüsse im kommenden Herbst noch bestätigen.
Entwicklungspolitische Ernüchterung
So bleibt das Zwischenfazit vorerst zwiespältig: In den wichtigen politischen Fragen zu Klima- und Umweltschutz dürfte das aktuelle Parlament weiterhin einen fortschrittlichen Kurs fahren – zumindest aus nationaler Perspektive. In entwicklungspolitischer Hinsicht hingegen wird von ihm nicht viel zu erwarten sein. Der wirtschaftsfreundliche Block ist weiterhin ungebrochen in der Mehrheit und wird auch künftig wenig Gehör haben für Anliegen, die den Interessen der Schweizer Exportwirtschaft und Finanzindustrie im Grundsatz zuwiderlaufen würden. Und da in den nächsten Jahren alle Beratungen im Kontext der durch Corona verursachten Kosten stattfinden werden, dürften es die bürgerlichen Sparbemühungen gerade bei internationalen Anliegen leicht haben.
Einen Vorgeschmack lieferte der Nationalrat, als er im Zusammenhang mit den Rahmenkrediten 2021-2024 für die internationale Zusammenarbeit beschloss, dass sich «die Festlegung der jährlichen Beiträge durch den Bundesrat […] an der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Abbaupfad der Covid-19-bedingten Schulden» zu orientieren habe. Gegen unten ist der Betrag offen, gegen oben gedeckelt bei jährlich maximal einem Viertel der Rahmenkredite. Das ist de facto ein verkappter Sparmechanismus und kein gutes Zeichen für eine Verstärkung der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit zur Umsetzung der «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung». Es ist zu hoffen, dass der Ständerat diesen Entscheid korrigiert – zu erwarten aber leider nicht.