Die Corona-Pandemie führt zu drastischen Einschnitten in der Arbeitswelt. Dies trifft vor allem auch Beschäftigte des informellen Sektors. Besonders gefährdet sind Arbeitsmigrantinnen und -migranten, darunter die Hausangestellten. Sie alle brauchen menschenwürdige Arbeitsbedingungen.
Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) sind weltweit gegen 2,3 Milliarden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit regulären Arbeitsverträgen von vollständigen oder teilweisen Lockdown-Massnahmen betroffen (Stand: Ende April). Dies entspricht etwa 68 Prozent aller formell Beschäftigten. Die globale Arbeitszeit wird laut der IAO im zweiten Quartal 2020 verglichen mit dem letzten Quartal vor der Krise (4. Quartal 2019) um über 10 Prozent zurückgehen, was einem Verlust von 305 Millionen Vollzeitstellen entspricht. Von Arbeitsplatzverlusten und sinkenden Arbeitszeiten sind in erster Linie Schlüsselsektoren wie der Gross- und Einzelhandel, das Gastgewerbe, die Verarbeitungsindustrie und die Dienstleistungsbranchen betroffen. Dabei geniessen die Betroffenen nur selten einen Schutz, wie ihn die Schweiz kennt.
Derzeit besonders gefährdet sind die arbeitsrechtlich weitgehend ungeschützten Beschäftigten im informellen Sektor, die von der obigen Statistik nicht erfasst werden. In den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind rund 1,4 Milliarden informell Beschäftigte von den Folgen der Coronakrise betroffen, über 40 Prozent von ihnen arbeiten auf eigene Rechnung und sind daher den Lockdown-Massnahmen schutzlos ausgeliefert. Damit verbunden ist ein Einkommensverlust, den die IAO für den informellen Sektor armer Länder im ersten Krisenmonat auf über 80 Prozent schätzt: So sank das monatliche Durchschnittseinkommen im informellen Sektor Afrikas von 518 auf 96 Dollar.
Corona verschärft die Ausbeutung in der Arbeitsmigration
Zu den besonders verletzlichen Gruppen zählen die Arbeitsmigrantinnen und -migranten. 200 Millionen der weltweit 270 Millionen Menschen, die ausserhalb ihrer Herkunftsländer leben, stammen aus Entwicklungsländern und arbeiten in anderen Entwicklungs- oder in Industrieländern. Allein in den Golfstaaten sind dies rund 25 Millionen Arbeitskräfte vor allem aus Süd- und Südostasien.
Arbeitsmigrantinnen und -migranten sind oft in informellen, gering qualifizierten und prekären Beschäftigungsverhältnissen tätig, etwa in der Landwirtschaft, im Bauwesen und in der Hausarbeit. Viele von ihnen werden ausgebeutet und diskriminiert – bei der Rekrutierung, unterwegs oder am neuen Arbeitsort. Sie geraten in die Fänge skrupelloser Vermittlungsagenturen, werden als Hausangestellte ausgenützt, sind Opfer von Missbrauch, Menschenhandel und Prostitution und haben oft aufgrund eines irregulären Status keinerlei rechtlichen Schutz. Betroffen sind auch Millionen Kinder und Jugendliche.
Die Corona-Pandemie hat die Situation für die Arbeitsmigrantinnen und -migranten vielerorts verschlimmert: Sie sind die ersten, die ihre Arbeit verlieren, und können ihre Familien zuhause nicht mehr unterstützen. Wenn sie doch noch arbeiten können, dann meist ohne Schutzausrüstung oder geeignete Sicherheitsmassnahmen. Das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, einschliesslich Unterkunft, Nahrung, Wasser und sanitäre Einrichtungen, wird ihnen verweigert, und sie haben kaum eine andere Wahl, als in überfüllten Unterkünften zu leben, die das Einhalten von Hygiene- und Abstandsregeln verunmöglichen. Diese Umstände erhöhen die Corona-Anfälligkeit ganzer Gemeinschaften. Wer die Arbeit verloren hat, kann oftmals den Arbeitsort wegen geschlossener Grenzen gar nicht verlassen – etwa 170 Länder haben mittlerweile Mobilitätsbeschränkungen erlassen. Und falls doch, erwartet sie bei ihrer Rückkehr als vermeintliche Virusträger oft Misstrauen und Feindseligkeit. So wird Corona auch zu einer Mobilitätskrise. All diese Aspekte gehen in der internationalen Diskussion oft vergessen.
«Decent Work» muss auch für Arbeitsmigration gelten
Die Arbeitsmigration ist eine tragende Säule der globalisierten Wirtschaft und Gesellschaft. Viele Volkswirtschaften sind existenziell auf die Arbeitsleistung von Migrantinnen und Migranten angewiesen. Diese Relevanz spiegelt sich aber keineswegs in deren Arbeitssituation, wie dies die Corona-Pandemie wieder einmal vor Augen führt. Auch Migrantinnen und Migranten haben ein Recht auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen («Decent Work»). Seit Jahren setzen sich internationale Organisationen wie die IAO dafür ein.
Zu den zentralen Elementen einer menschenwürdigen Arbeit zählen insbesondere eine vertragliche Regelung des Arbeitsverhältnisses mit einer gesicherten Aufenthaltsregelung, ein angemessenes Einkommen, Sicherheit am Arbeitsplatz und der soziale Schutz für Familien. Decent Work steht für Integrität, Chancengerechtigkeit und die Gleichbehandlung von Frauen und Männern, gehört zur Zielsetzung der «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» (SDG 8) und ist ein entscheidender Baustein der Fair Migration Agenda der IAO. Diese Agenda fordert die Respektierung der Grundrechte der Wanderarbeiter, eine faire Verteilung des Wohlstands, zu dessen Schaffung sie beitragen, und eine Politik, die den Interessen der Herkunfts- und Zielländer, der Wanderarbeiter und der Arbeitgeber gleichermassen gerecht wird.
Rechte der Hausangestellten schützen
Aktuell ganz besonders gefährdet sind Hausangestellte. Die IAO schätzt ihre Zahl auf mindestens 67 Millionen Personen, davon 80 Prozent Frauen. Sie sind in einem informellen Sektor tätig, der von der Aussenwelt kaum wahrgenommen wird. Da Millionen von Hausangestellten gleichzeitig auch am Arbeitsplatz wohnen, sind sie weitgehend isoliert und den Arbeitgebern ausgeliefert. In vielen Ländern wird ihre Arbeit gar nicht als reguläre Beschäftigungsform anerkannt und fällt unter keine gesetzliche Regulierung. Doch durch ihre Arbeit im Haushalt und in der Pflege sind Hausangestellte einem besonders hohen Corona-Risiko ausgesetzt. Direkt durch das Virus und indirekt von Grenzschliessungen, Abriegelungen und Ausgangssperren.
Die Internationale Föderation der Hausangestellten (IDWF) weist in einer aktuellen Erklärung zum Schutz der Rechte von Hausangestellten und zur Bekämpfung der Coronakrise auf die vielerorts dramatische Situation hin. Auch wenn die Situation je nach Weltregion verschieden ist, sind die Herausforderungen doch grundsätzlich vergleichbar. Die IDWF fordert deshalb, dass die durch Corona verursachten Härten mittels umfassenden Schutzmassnahmen gelindert werden. Gleichzeitig erwartet die IDWF weitergehende Verbesserungen, um die tiefer liegenden wirtschaftlichen und geschlechtsspezifischen Ungerechtigkeiten zu beheben. Dazu gehören unter anderem Einkommenssicherheit, Sozialleistungen, einen regulären Aufenthaltsstatus oder eine sichere Unterbringung für alle. Nur so könne der Sektor nachhaltig verändert werden.
Die IAO hat 2011 mit ihrem «Übereinkommen über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte» (Konvention 189) die Grundlage für rechtliche und politische Massnahmen zum Schutz und zur Gleichbehandlung der Hausangestellten geschaffen. Sie fordert einen gleichberechtigten Zugang zu sozialen Dienstleistungen und Rechten. Im Juni 2019 verabschiedete die IAO-Konferenz zudem das «Übereinkommen über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt» (Konvention 190), das für alle Sektoren – privat und öffentlich, formell und informell, städtisch und ländlich – gültig ist, also auch für Hausangestellte. Damit verfügen die Staaten über die nötigen Instrumente zur Besserstellung der besonders gefährdeten Migrationsgruppen – sie müssen sie nur noch umsetzen.