Die Corona-Pandemie hat gravierende Folgen für die Schweiz und ihre europäischen Nachbarn, bedroht aber mittlerweile auch Entwicklungsländer. Dabei haben die ärmsten Länder wenig Ressourcen, sich dagegen zu wappnen, und bereits jetzt verschärfen die weltwirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie die Situation dieser Länder. In dieser Situation muss Solidarität grenzenlos sein.
Die Schweiz steht wegen der Corona-Pandemie im Inland vor grossen Herausforderungen. Diese betreffen das Gesundheitswesen ebenso wie das soziale Leben und die wirtschaftlichen Perspektiven. Die Krise verlangt dem Staat, der Gesellschaft und dem Privatsektor alles ab. Einmal mehr zeigt sich, wie wichtig ein «starker» Staat mit gut funktionierenden Institutionen ist. Doch die Corona-Pandemie macht an Grenzen nicht Halt, unabhängig davon, wie streng die getroffenen Massnahmen sind.
Betroffene Entwicklungsländer
Welches Ausmass die Corona-Krise annehmen wird, ist noch nicht absehbar. Doch mit jedem Tag, an dem die Pandemie wütet, werden die Folgen in den Entwicklungsländern deutlicher sichtbar. Millionen Menschen haben kein sauberes Wasser, um grundlegende Hygienemassnahmen einzuhalten. Die Ernährungssituation ist prekär und wird durch den Klimawandel weiter verschärft. Arif Husain, Chefökonom des UN-Welternährungsprogramms (WFP), warnte vor einer Woche in einem Interview: «Wer Hunger leidet und sich mit dem Virus infiziert, stirbt. Egal, ob alt oder jung. Es sei denn, er bekommt Hilfe.»
Auch die Gesundheitssysteme sind schwach und viele Menschen haben überhaupt keinen Zugang zu medizinischer Infrastruktur. Das Ansteckungsrisiko ist gerade für die rund 50 Prozent der Bevölkerung, die in Städten und meist auf engem Raum leben, sehr hoch. Dortige Infrastrukturen und Dienstleistungen konnten schon vor der Pandemie mit der wachsenden Bevölkerung nicht Schritt halten. In Afrika lebt mehr als die Hälfte der Stadtbevölkerung in Slums, und von ihnen haben nur 40 Prozent Zugang zu ausreichenden Sanitäranlagen. Eine Ausbreitung der Pandemie mit strengen Massnahmen einzudämmen, lässt sich da kaum bewerkstelligen.
Zudem befanden sich zahlreiche Entwicklungsländer schon vor der Corona-Pandemie in einer sozialen, ökonomischen und politischen Krise, die durch die Auswirkungen der Pandemie jetzt noch verstärkt wird. Diese Länder sind aufgrund ihrer strukturellen Schwächen noch verwundbarer, ihnen fehlen schon jetzt die Mittel für Massnahmen, wie sie reiche Länder ergreifen können, um die Auswirkungen der Krise abzufedern und sie werden noch länger unter den Folgen der Krise leiden. Sie können keine Rettungsschirme für Gesellschaft und Wirtschaft aufspannen. Infolge der wirtschaftlichen Abhängigkeiten in einer globalisierten Welt spitzt sich ihre Lage zu.
Auswirkungen auf die Weltwirtschaft
Das Coronavirus trifft die Weltwirtschaft in einer kritischen Phase. Handelsbeziehungen sind blockiert oder sistiert, Rohstoffpreise fallen, Einnahmen aus dem Tourismus brechen weg. Nationale Hilfsmassnahmen der Industrie- und Schwellenländer verschaffen den dortigen Unternehmen Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren ohnehin oft schwachen Konkurrenten in den Entwicklungsländern. Ein besonderes Problem ist der Abzug von Investitionskapital in vermeintlich «sichere Häfen». Als Reaktion auf die Corona-Krise ist die Kapitalflucht aus Entwicklungsländern seit Ende Januar im Rekordtempo angestiegen und hat für die betroffenen Länder ein dramatisches Ausmass angenommen. Es ist eine Frage der Zeit, bis es zu Zahlungsausfällen und Schuldenkrisen kommt. Bereits Ende 2019, also noch vor Corona, bestand für 33 ärmere Länder nach Angaben des IWF ein hohes Überschuldungsrisiko oder sie waren bereits zahlungsunfähig. Der senegalesische Präsident Macky Sall hat bereits einen Schuldenschnitt verlangt.
Erste Schätzungen der UNO gehen davon aus, dass die wirtschaftlichen Folgen von Corona das globale Bruttonationaleinkommen um eine Billion US-Dollar verringern könnten. Sinkt das Wachstum der Weltwirtschaft 2020 durch Corona nur um 0,5 Prozent, wären es sogar zwei Billionen US-Dollar. Um eine weltweite Rezession abzuwenden, haben IWF, Weltbank, EU, nationale Regierungen und führende Zentralbanken bereits Milliardenprogramme angekündigt. Sie können eine Chance sein: Richtig eingesetzt, stärken sie nicht nur die öffentlichen Gesundheitssysteme, sondern können auch umfassendere Konjunkturprogramme zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung anstossen.
Humanität und Solidarität kann nicht an Ländergrenzen enden
Ob eine Entwicklungskrise aufgrund von Corona noch verhindert werden kann, ist nicht klar. Es muss aber alles darangesetzt werden. Deshalb darf Solidarität nicht an Landesgrenzen enden. Es gibt keine nationalen Lösungen für globale Probleme. Mit ihrem humanitären Engagement zugunsten der ärmsten Menschen können reiche Länder die gravierendsten Folgen der Pandemie lindern. Langfristig aber sollte die Staatengemeinschaft weiterhin unvermindert und ambitioniert die «Ziele für nachhaltige Entwicklung» (SDGs) verfolgen. Damit hat sie 2015 den Grundstein für eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation, die auch die Entwicklungsländer gegenüber Extremereignissen und Krisen wie die Corona-Pandemie stärken würde, gelegt.
Vorderhand aber geht es darum, der sich abzeichnenden Corona-bedingten Katastrophe zu begegnen – gemäss UNO-Generalsekretär Antonio Guterres die grösste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. So hat die UNO mittlerweile einen weltweiten Aufruf gestartet und für dieses Jahr zwei Milliarden Dollar zur Bekämpfung des Corona-Virus in Ländern mit kritischem humanitärem Bedarf gefordert. OCHA, die UNO-Behörde für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, will damit für die Zeit bis Ende des Jahres neue Nothilfemassnahmen in den Bereichen öffentliche Gesundheit, Logistik und sozioökonomische Unterstützung ergreifen können. Dies soll für die am stärksten gefährdeten Gemeinschaften in bis zu 64 Ländern aufgewendet werden – einschliesslich derjenigen Länder, die Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten aufnehmen. OCHA-Leiter Mark Lowcock appelliert: «Die ärmsten und verletzlichsten Länder der Welt ihrem Schicksal zu überlassen, wäre sowohl grausam als auch unklug.» Dabei fordert die UNO von den geldgebenden Staaten, dass sie diese Hilfsgelder nicht von bestehenden Hilfsprojekten, die nichts mit Corona zu tun haben, abzweigen.
Der diesjährige Weltgesundheitstag vom 7. April steht im Zeichen des Pflegepersonals und soll die führenden Politikerinnen und Politiker der Welt an die entscheidende Rolle erinnern, die Pflegefachfrauen und andere Gesundheitsfachkräfte bei der Gesunderhaltung der Welt spielen. Weltweit stehen sie heute an vorderster Front und setzen dabei auch ihre eigene Gesundheit aufs Spiel. Ohne sie könnte der Coronavirus schlicht nicht bekämpft werden.
Die weltweiten Folgen der Corona-Krise sollten auch die Schweiz an ihre humanitäre Tradition erinnern. Der Bundesrat kann und soll den Weltgesundheitstag zum Anlass nehmen, in Ergänzung zum grossen Engagement beim Abfedern der Belastungen im Inland auch die Solidarität der Schweiz mit den armen und verletzlichen Menschen in Entwicklungsländern zum Ausdruck zu bringen und das UNO-Programm zu unterstützen. Ein internationales Abseitsstehen wäre unverständlich.