© Narendra Shrestha

Die Coronakrise verlangt mehr Resilienz

Anpassung und Innovation sind Eckpfeiler der Widerstandsfähigkeit
VON: Geert van Dok, Zenebe B. Uraguchi - 14. August 2020
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Der Umgang mit den Folgen der Corona-Pandemie hat das Schlagwort «Resilienz» ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt: Dabei geht es um die Steigerung der Widerstandsfähigkeit wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Systeme gegenüber Schocks und Gefahren. Eckpfeiler sind Anpassungsfähigkeit und Innovation.

Die Coronakrise hat gezeigt, wie enorm verletzlich die global vernetzen Staaten und Gesellschaften sind. Um künftigen Schocks und Gefahren wirkungsvoll begegnen zu können, müssen sie ihre Kapazitäten zur Anpassung an die Auswirkungen von Krisen erhöhen. Doch sind Massnahmen zur Resilienzsteigerung nur dann wirkungsvoll, wenn sie gleichzeitig zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.

Absorbieren, Anpassen, Antizipieren

Resilienz steht weit oben auf der internationalen politischen Agenda, doch diese Popularität geht kaum mit einem vertieften Verständnis einher, wie die Widerstandsfähigkeit angesichts der Coronakrise gesteigert werden kann.

Allgemein gesagt, bedeutet die Steigerung der Resilienz, dass Gesellschaften Schocks und tiefgreifende Veränderungen aufgrund von Naturgefahren, Klimawandel, Konflikten oder eben aktuell der Coronakrise besser abfedern, sich daran anpassen oder neue Strategien im Umgang mit bestehenden und neuen Risiken entwickeln können.

Dabei zeigen Studien, dass es bei Schocks von geringer Intensität durchaus möglich ist, den Status quo wiederherzustellen und ohne jegliche Anpassung zum früheren Gleichgewicht zurückzukehren («bounce back»). Doch bei Krisen, die weitreichende Veränderungen auslösen, ist die einfache Erholung eines Systems keine Option. Bei tiefgreifenden Krisen sind jene Gesellschaften, die sich flexibel an die neuen Gegebenheiten anpassen und Transformationen zulassen, am besten in der Lage zu überleben und sich für eine nachhaltige Zukunft aufzustellen («bounce forward»).

Daher muss eine Stärkung der Resilienz drei Dimensionen umfassen: Erstens die Fähigkeit, negative Ereignisse zu absorbieren, Erschütterungen abzufedern und Stabilität zu schaffen. Zweitens die Fähigkeit, sich dank dynamischer Interaktion und Innovation an die veränderten wirtschaftlichen, sozialen und Umweltbedingungen anzupassen. Und drittens die Fähigkeit, kommende Veränderungen und den Zeitpunkt ihres Eintretens zu antizipieren und sich darauf einzustellen. Gelingt dieser Dreischritt, verringert es die Verwundbarkeit von Gesellschaften und sie werden leistungsfähiger und langlebiger.

Doch bedeutet der Aufbau von Resilienz keineswegs automatisch den Abbau sozialer Ungleichheit. Als Richtschnur muss daher gelten, dass Massnahmen zur Resilienzsteigerung die Armutsbekämpfung nicht untergraben dürfen, sondern vielmehr zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen müssen.

Gravierende Auswirkungen

Mittlerweile ist deutlich, wie gravierend die weltweiten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Auswirkungen der Coronakrise sind. So geht die Weltbank davon aus, dass das globale Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr um 5,2 Prozent schrumpfen wird, «die tiefste globale Rezession seit Jahrzehnten». Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) ist die Hälfte der weltweiten Erwerbsbevölkerung vom Verlust ihrer Lebensgrundlage bedroht. Und das UN-Forschungsinstitut UNU-WIDER zeigt in einer aktuellen Studie auf, dass es wegen der Corona-Pandemie erstmals seit 1990 zu einem erheblichen Anstieg der Armut kommen könnte. Bei einem Rückgang des Pro-Kopf-Einkommens um 20 Prozent, wie es die OECD annimmt,  dürften zusätzlich «weltweit 395 Millionen Menschen in extreme Armut geraten, während diese Zahl auf 527 Millionen Menschen ansteigt, wenn man die höchste Armutsgrenze von 5,50 US-Dollar pro Tag betrachtet». Die Studie verweist auf die enorme «Prekarität in den Entwicklungsländern und die Anfälligkeit eines grossen Teils der Armutsbekämpfung gegenüber jedem wirtschaftlichen Schock».

Sorgen bereitet auch die aktuelle politische Entwicklung: Während das Institute for Economics & Peace (IEP) in seinem Global Peace Index 2019 noch einen Trend hin zu mehr Friedlichkeit erkennen konnte, stellt es im aktuellen Bericht für 2020 fest, dass die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie in den nächsten Jahren zu einer ernsthaften Verschlechterung der weltweiten Situation hinsichtlich Frieden und Demokratie führen könnten. Das IEP untersucht dabei jeweils das Niveau der gesellschaftlichen Sicherheit, das Ausmass anhaltender innerstaatlicher und internationaler Konflikte und den Grad der Militarisierung.

Autoritäre politische Machthaber nutzen zudem die Situation aus, um ihre Position mittels Notrecht und neuen Überwachungsmassnahmen zu stärken. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie CIVICUS weisen darauf hin, dass Sondergesetze und Lockdowns die demokratischen Spielräume bedrohen und die Pressefreiheit eingeschränkt wird, um kritische Stimmen zu ersticken.

Agenda 2030: Nachhaltigkeit und Resilienz für alle

Diese Auswirkungen machen deutlich, wie existentiell wichtig es ist, dass nicht nur Staaten, sondern auch Gesellschaften ihre Resilienz gegenüber den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen der Coronakrise steigern. Die meisten Länder sind heute für deren Bewältigung zu wenig gerüstet und müssen ihre Kapazitäten, sich innovativ an die aktuellen und kommenden Herausforderungen anzupassen, deutlich verbessern. Dabei geht es um Konfliktprävention und Vorkehrungen gegenüber Naturkatastrophen, vor allem aber um den Aufbau eines inklusiven und nachhaltigen Wirtschaftssystems zum Wohle aller, um einen wirkungsvollen Klima- und Umweltschutz, gestärkte und transparente Institutionen und gerechte Regelungen. Dazu gehören unter anderem eine allen zugängliche Bildungs- und Gesundheitsversorgung, eine effiziente Kommunikations-, Verkehrs- und Energieinfrastruktur, Spielräume für die Zivilgesellschaft als eine tragende Säule demokratischer Partizipation und eine modernes, menschenrechtsbasiertes Rechtssystem.

Anders gesagt: Resilienz muss dazu beitragen, dass die Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen erreicht werden. Unter dem Titel «Transformation unserer Welt» hat sich die Staatengemeinschaft in der Präambel der Agenda verpflichtet, «transformative Schritte zu unternehmen, die dringend notwendig sind, um die Welt auf den Pfad der Nachhaltigkeit und der Widerstandsfähigkeit zu bringen. Wir versprechen, auf dieser gemeinsamen Reise, die wir heute antreten, niemanden zurückzulassen.» Dieses Versprechen haben alle Staaten abgegeben, ohne Wenn und Aber.