Blauer Himmel und klare Flüsse sind kein Hinweis auf Verbesserungen des Klimas, sondern für weniger Luft- und Umweltverschmutzung. Der Preis dafür, die Coronakrise, ist hoch. Und doch: Wie wir darauf reagieren, zeigt, dass globale Veränderungen und eine klimafreundlichere Zukunft möglich sind.
Seit 1970 feiert die Welt am 22. April den Earth Day. Jedes Jahr finden weltweit Aktionen gegen Umweltverschmutzung, Konsumwahn und fürs Klima statt. Am Tag der Erde kämpfen wir und feiern die kleinen Schritte, die die Menschheit vorwärtsbringen auf der Suche nach einem besseren, nachhaltigeren Leben auf diesem Planeten. Doch der diesjährige Earth Day ist anders als alle zuvor.
In den letzten Monaten haben über 170’000 Menschen ihr Leben wegen eines winzigen Stückchens RNA verloren, das mit einem Fettfilm und einer Krone aus Proteinen auf uns herabkam – das Virus Sars-CoV-2. Bis heute haben über 2,5 Millionen Menschen diese Infektion durchgemacht, und die Hälfte der Weltbevölkerung lebt derzeit deswegen unter verschiedenen wirtschaftlichen und persönlichen Einschränkungen. Zwar sind der Himmel blauer, die Luft klarer und das Wasser sauberer als sie seit Menschengedenken je waren, doch der Preis dafür ist unerträglich hoch und stürzt die gesamte Menschheit in Trauer und Verunsicherung.
CO2-Trend zeigt ungebrochen nach oben
Entgegen der landläufigen Meinung haben der starke Rückgang von Flügen, Autofahrten und Industrieproduktion wenig Einfluss auf den Klimawandel. Zwar gehen Luft- und Wasserverschmutzung deutlich und eindrücklich zurück, aber die Treibhausgaskonzentration liegt derzeit bei rekordhohen 416 ppm (parts per million). Es ist noch nicht lange her, dass wir hofften, die Schwelle von 350 ppm niemals zu überschreiten.
Seit Jahrzehnten nehmen die schädlichen Co2-Emissionen stetig zu; ein Trend, der nur durch die Finanzkrise von 2008 unterbrochen wurde. Treibhausgase haben eine lange Lebensdauer und verbleiben über Jahrzehnte bis Jahrhunderte in der Umwelt. Ein Rückgang der Kohlenstoffemissionen für einige Monate aufgrund eines Ereignisses wie der Corona-Pandemie wird sich daher weder auf die jährlichen noch auf die langfristigen Kohlenstoffvorräte auswirken. Auch nach der Finanzkrise von 2008 gab es einen starken Wiederanstieg der Treibhausgasemissionen, die den zwischenzeitlichen Rückgang mehr als zunichtemachte. Die Emissionen werden wieder auf das Niveau von vor der Coronakrise ansteigen. Denn verschiedene Wirtschaftssektoren werden versuchen, ihre Aktivitäten zu intensivieren, um die Verluste aus den Zeiten des Lockdowns auszugleichen. Angesichts niedriger Ölpreise –die tiefsten aller Zeiten, so dass die US-Standardsorte West Texas Intermediate zeitweise gar zu Negativpreisen gehandelt wurden – und grosser Reserven besteht jedoch die Gefahr, dass diese Erholungsphase durch fossile Brennstoffe angeheizt wird. Es sei denn, wir entscheiden uns für eine andere Zukunft.
Umdenken für eine andere Zukunft
Es gibt drei Anzeichen der Hoffnung dafür: Wir haben in dieser Krise erstens bewiesen, dass wir als Gesellschaft notfalls zu radikalen Veränderungen bereit sind, sogar in einer globalen Dimension. Wir haben zweitens bewiesen, dass Veränderungen tiefgreifend genug sein können, um sowohl der Erde als auch dem Klima zu helfen, und dass drittens die finanziellen Mittel für einen globalen Übergang mobilisiert werden können.
Das Klimadaten-Portal Carbon Brief schätzt, dass Chinas CO2-Emissionen während des Corona-Lockdowns innerhalb von vier Wochen um etwa 25 Prozent zurückgegangen sind. Um die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, müssen die Treibhausgasemissionen nach Schätzungen des Weltklimarats (IPCC) bis 2030 um 40 Prozent reduziert werden. Zwar mag die weltweite Emissionsreduktion aufgrund der Lockdowns bescheidener ausfallen als in China – möglicherweise beträgt sie etwa 10 Prozent. Wenn diese Reduktion jedoch dauerhaft beibehalten werden könnte, hätte die Welt in wenigen Wochen einen Viertel des Weges zu ihrem 1,5-Grad-Ziel zurückgelegt! In der gegenwärtigen Situation ist diese Entwicklung jedoch nicht von Dauer. Und sie verursacht enorme soziale und wirtschaftliche Kosten, die zudem ungleich zwischen Arm und Reich verteilt sind.
Jetzt handeln!
Veränderungen sind greifbar nahe
So wie eine Pandemie laut Expertengremien ein Indikator für den Verlust der biologischen Vielfalt ist, so sind Wetterextreme wie Stürme und Waldbrände Indikatoren für den Klimawandel. Wenn sich koordinierte weltweite Massnahmen zur Eindämmung der Treibhausgasemissionen verzögern, dann werden die Auswirkungen auf das Klima massiv, nie dagewesen und global sein. Und sie werden überall auf der Welt arme und benachteiligte Menschen am härtesten treffen.
Eine kürzlich durchgeführte YouGov-Umfrage in Grossbritannien zeigt, dass nur 9 Prozent der Befragten ihr Leben unverändert weiterführen wollen wie vor dem Lockdown. 54 Prozent hoffen, ihr eigenes Leben zu verändern und erwarten, dass das Land als Ganzes aus dieser Pandemie lernen wird. Die bekannte Politikwissenschaftlerin Erica Chenoweth sagt in ihrer bahnbrechenden Arbeit über gewaltlosen zivilen Widerstand, dass es nur 3,5 Prozent der Bevölkerung braucht, um ein System zu verändern. Am schwierigsten dabei ist, das Denken der Menschen zu verändern. Und an einem solchen Punkt scheinen wir nun zu stehen.
Jetzt ist eine Transformation greifbar nahe, wenn wir dafür die Ressourcen, die für die Zeit nach der Coronakrise für den wirtschaftlichen Wiederaufbau zur Verfügung stehen, dafür nutzen. Wir müssten die neuen Formen, wie wir leben, essen, arbeiten und uns erholen beibehalten, die viele von uns in den letzten Wochen als gesund und wohltuend erlebt haben. Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssen sich dagegen wehren, dass die Sanierungspakete zu Rettungspaketen für Sektoren werden, deren Zeit abgelaufen ist.
Die Rettungsschirme müssen nachhaltige Arbeitsplätze schaffen, insbesondere für junge Menschen und Frauen. Und die dafür notwendigen Investitionen dürfen keine neuen Risiken bergen – auch nicht für das Klima. Die Weltbank hat eine Nachhaltigkeitscheckliste entworfen, die es erlaubt, Investitionen zur Konjunkturbelebung auf genau solche Aspekte hin zu prüfen. Als Bürgerinnen und Bürger müssen wir fordern, dass öffentliche Investitionen solchen Prinzipien folgen.