© Simon Opladen

Bildungslücken vernichten Perspektiven

Corona aus globaler Perspektive
VON: Daniela Lilja - 07. Mai 2020
© Simon Opladen

Gemäss der Unesco können 1,3 Milliarden Kinder und Jugendliche derzeit nicht zur Schule gehen. In vielen Entwicklungsländern ist Homeschooling keine Option. Die digitale Kluft führt nun zu einer gefährlichen Bildungslücke. Dies erfordert schnelle und innovative Lösungen für die Grundschul- und Berufsbildung.

Trotz vergleichsweise weniger Infektionsfälle hat Tansania prompt auf die Corona-Pandemie reagiert: Bereits Mitte März hat die Regierung die öffentlichen Schulen geschlossen und Treffen mit mehr als zehn Personen verboten. Während Privatschulen ihren Unterricht in den digitalen Raum verlagern, haben Millionen Kinder und Jugendliche aus öffentlichen Schulen keinen Zugang zum Schulstoff. Das vergrössert die Bildungslücke und stellt die Weichen für die Zukunft – zum Nachteil der ärmeren Bevölkerung.

Kinder ohne Zugang zu Lernstoff

Die sofortigen Schulschliessungen trafen alle unvorbereitet: Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern. In Tansania unterstützt Helvetas seit Jahren zusammen mit der tansanischen Lehrergewerkschaft TTU die Lehrerfortbildung, damit Lehrerinnen und Lehrer vom monotonen Frontalunterricht wegkommen und neue, interaktive und partizipative Unterrichtsformen einführen. Ohne Schulen und wegen der ebenfalls geschlossenen Ausbildungszentren für angehende Lehrerinnen und Lehrer mussten die TTU und Helvetas alle geplanten Aktivitäten neu organisieren.

Innert kürzerster Zeit wurden vier WhatsApp-Gruppen mit insgesamt 410 Mitgliedern gebildet, darunter Lehrkräfte von 330 Grundschulen, lokale Regierungsmitglieder, Mentoren und Schulleiterinnen. Die Plattform wird einerseits genutzt, um über Corona zu informieren und das Bewusstsein für COVID-19 zu schärfen. Andererseits können die Mitglieder damit Online-Quellen für Unterrichtsmaterialien und Erfahrungen austauschen. Aufgaben und Informationen werden über den gleichen Kanal oder per klassische SMS an Eltern oder Schülerinnen und Schüler weitergeleitet. Obwohl flexibel und unkompliziert – damit können lange nicht alle Kinder erreicht werden. Schlechte Mobilfunkverbreitung und Netzverbindungen, aber auch die Armut verunmöglichen, dass Kinder in entlegenen Gebieten Zugang zu Unterrichtsmaterialien erhalten, denn lange nicht alle Eltern verfügen über ein Mobiltelefon. Die digitale Kluft vergrössert so die Bildungslücken für Kinder aus besonders benachteiligten Familien noch mehr.

Doch Helvetas arbeitet zusammen mit der TTU und Regierungsstellen intensiv an längerfristigen Lösungen. Die Idee ist, dass ältere Kinder die jüngeren Geschwister und Nachbarkinder beim Lernen unterstützen. Inputs für dieses sogenannten Peer-Learning sollen im Rahmen des Projekts entwickelt werden und über das lokale Radio und Fernsehen ausgestrahlt werden.

Berufsbildung flexibler gestalten

Auch Auszubildende in der Berufsbildung stehen in der aktuellen Situation vor grossen Herausforderungen: Nicht nur wurden ihre Ausbildungskurse und Praktika wegen der Coronakrise gestoppt. Nach dem Abschluss einer Berufsbildung arbeiten sie oft erstmal in schlecht bezahlten, unsicheren Jobs, um Berufserfahrung zu sammeln. Doch wenn sich die Wirtschaft verlangsamt, sind diese Arbeitsplätze die ersten, die gestrichen wurden – und für die Berufseinsteiger und Berufseinsteigerinnen verflüchtigt sich so jede Aussicht auf eine potenzielle Beschäftigung.

Auch Helvetas muss die Berufsbildungs-Projekte anpassen. In Tansania wurden Mitte März die erfolgreichen und beliebten praxis-orientierten Berufsbildungen für junge Frauen und Männer aus benachteiligten Familien bis auf Weiteres gestoppt, Workshops und Veranstaltungen abgesagt. Der Kontakt mit Mitarbeitenden von Partnerinstitutionen und den jungen Menschen in Ausbildung musste sorgfältig überdacht werden. Priorität hat die Sicherheit und Gesundheit von Mitarbeitenden und Auszubildenden. Dazu gehört es, die Partner über Schutz- und Hygienemassnahmen zu informieren und sicherzustellen, dass diese eingehalten werden.

Doch die Anpassung an die neue Situation war bei der Berufsbildung einfacher als bei den Schulen: Oftmals reichte es, die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu verringern und die Kursinhalte anzupassen, auch können Jugendliche die Sicherheitsmassnahmen besser einhalten als Kinder. So konnten in Dodoma, der Hauptstadt Tansanias bereits im April 27 Jugendliche lernen, wie Flüssigseife und Desinfektionsmittel hergestellt werden. Es fanden drei Kurse statt mit je weniger als zehn Teilnehmenden und unter Einhaltung der Distanzregeln. Ein Mentor unterstützt die jungen Frauen und Männer beim Aufbau ihrer eigenen Produktion und eines eigenen Absatzkanals. Da es dauert, bis sie eine eigene Gewerbebewilligung erhalten, können sie ihre Produkte vorläufig unter dem Markennamen des Ausbildners herstellen und verkaufen. So lässt sich der langwierige Prozess aufschieben.

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Niemand darf zurückbleiben – Blick in die Zukunft

Doch nicht alle können ihre Ausbildung abschliessen. Als Entwicklungsorganisation ist es die Pflicht von Helvetas, dafür zu sorgen, dass niemand zurückbleibt. Während Privatschulen und Eliteuniversitäten bereits digitale Lösungen einsetzen, fehlt den öffentlichen Schulen und insbesondere Kindern und Jugendlichen in armen Gemeinden der Zugang zu Online-Diensten – wenn es sie überhaupt gibt.

Hier sind schnelle und innovative Lösungen gefragt: mobile Kits zum Ausleihen, lokale Server, von denen Lernmaterial heruntergeladen werden kann, oder Möglichkeiten, mobile Geräte zu teilen. In Tansania beginnt bald die Entwicklung einer Online-Lernplattform, damit Jugendliche in der Berufsbildung ihre theoretischen und praktischen Fähigkeiten unabhängig von Kursort und Stundenplan lernen und ihre Kompetenzen vertiefen können. So insbesondere ihre digitale Kompetenz, eine Schlüsselkompetenz, um sich in der Online-Welt zurechtzufinden, und um die digitale Kluft zwischen den sozialen Schichten und den Geschlechtern zu verringern, denn Frauen haben noch immer weniger Zugang zu Mobiltelefonen.

Digitale Lösungen sind vielleicht nicht sofort einsatzbereit. Aber die gegenwärtige Situation hat bei den verschiedenen Interessengruppen zu einem Umdenken geführt. Dieses Momentum müssen wir alle nutzen, um die Entwicklung digitaler Lösungen zu beschleunigen. Sie werden über die gegenwärtige Krise hinaus nützlich sein, um Jugendliche an entlegenen Orten zu erreichen, es ihnen zu ermöglichen, flexibel zu den Zeiten zu lernen, die ihnen am besten passen und ihnen so eine Chance zu geben, sich Perspektiven zu schaffen.

 

Daniela Lilja ist seit 2017 bei Helvetas Beraterin und Expertin für Berufsbildung, Monitoring und Evaluation. Seit Juni 2019 unterstützt sie in gleicher Funktion das Berufsbildungsteam in Tansania.

 

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