Mit «Sisi City» setzt sich Ägyptens Präsident Abdel Fatah al-Sisi sein eigenes Denkmal. Die futuristische Metropole löst schon bald Kairo als Verwaltungssitz des 113-Millionen-Landes ab. Die Stadt soll Ägyptens Wirtschaft beleben und den Bevölkerungsdruck Kairos mindern. Will der autokratische Herrscher damit unliebsame Proteste von sich fernhalten? Und: Profitiert davon mehr als nur die Elite des Landes?
Bestimmt ist Ihnen bekannt, dass die Hauptstadt Brasiliens nicht Rio de Janeiro, sondern Brasília heisst. Selbstverständlich wissen Sie auch, dass Pretoria die Hauptstadt Südafrikas ist, nicht etwa Johannesburg oder Kapstadt. Aber sagt Ihnen Naypyidaw etwas? Können Sie Abuja zuordnen? Und wie sieht es mit Nusantara aus?
Naypyidaw entstand auf dem Reissbrett und löste 2005 als neuer Regierungssitz von Myanmar die Stadt Yangon ab. Abuja löste 1991 Lagos als Hauptstadt von Nigeria ab. Und mit Nusantara entsteht gerade die künftige indonesische Hauptstadt.
Ebenso im Aufbau befindet sich «Sisi City»: Die Stadt löst in wenigen Jahren die bevölkerungsreiche Metropolitanregion Kairo als neue Hauptstadt Ägyptens ab.
Sisi City steht in der Wüste
Sisi City ist eines der Megaprojekte des autokratischen ägyptischen Präsidenten Abdel Fatah al-Sisi. Der im Dezember 2023 für eine dritte Amtszeit wiedergewählte Herrscher will damit die Wirtschaft des Landes fördern.
Der heute 69-jährige Sisi wurde 2014 Präsident, ein Jahr nachdem er den Sturz seines islamistischen Vorgängers Mohammed Mursi durch das Militär geleitet hatte. Der Sieg im vergangenen Jahr bedeutet, dass er bis 2030 an der Macht sein wird. Laut der Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden leitet Sisi eine Militärdiktatur, die den ägyptischen Staat und dessen Wirtschaft militarisiert und das Land an den Rand eines wirtschaftlichen Kollapses führt.
Baustart seines «Denkmals» in der Wüste, 50 Kilometer östlich von Kairo, war vor acht Jahren. Konzipiert für über sechs Millionen Einwohner:innen, wird Sisi City flächenmässig dereinst 7-mal grösser als Paris sein. Dabei eifert die Wüstenstadt hyper-kapitalistischen und -moderneren Vorbildern wie Dubai nach. Ein Businessdistrikt mit rund 20 Wolkenkratzern befindet sich gerade in der Fertigstellung.
Wirtschaftliche Chance oder Milliardengrab?
Bislang wurden rund 500 Milliarden ägyptische Pfund (umgerechnet knapp 11 Milliarden US-Dollar) ausgegeben. Die Gesamtkosten des Stadtprojekts wurden auf etwa 58 Milliarden geschätzt. Während die Militärregierung verspricht (oder hofft), die Stadt durch Erlöse aus Land- und Wohnungsverkäufen finanzieren zu können, deuten Berichte darauf hin, dass sich das Vorhaben für das Land zu einem Milliardengrab entwickeln könnte. So zeigen sich Kritiker:innen besorgt über die exorbitanten Ausgaben, während die wirtschaftlichen Aussichten des Landes düster sind.
Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) unterstützen das Land und seine Regierung angesichts der schwachen Wirtschaft. Die Darlehen werden gewährt, unter der Bedingung, dass soziale und umweltverträgliche Wirtschaftsreformen durchgeführt und die gigantischen Infrastrukturausgaben verlangsamt werden, um die Inflation zu senken und die Schuldentragfähigkeit zu wahren. Ob Ägypten die Bedingungen erfüllen wird, ist äusserst fraglich.
Gleichzeitig wendet sich der ägyptische Präsident jedenfalls immer stärker den BRICS-Ländern zu, deren Unterstützung mit keinerlei Bedingungen verbunden ist. So reiste Sisi vergangenen Oktober nach Russland, um erstmals an einem BRICS-Gipfel teilzunehmen und die steigende Wichtigkeit der Süd-Süd-Kooperation hervorzuheben.
Gigantismus pur
Das neue Regierungsviertel in Sisi City wird ebenso gigantomanisch wie das Militärgebäude, das bei seiner Fertigstellung das grösste weltweit sein wird – grösser noch als das berühmte Pentagon in den USA. Mit dem Iconic Tower beherbergt die neue Stadt schon jetzt den höchsten Wolkenkratzer Afrikas (knapp 400 Meter, erbaut von Chinesen) und die grösste Kathedrale des Nahen Ostens. Und bis 2030 soll ein Gebäude entstehen, das mit 1000 Metern sogar Burj Khalifa in Dubai überragen wird.
Nebst einer riesigen Bibliothek und einem Opernhaus vollständig aus Marmor wird auch ein Fussballstadion für 80’000 Menschen gebaut. Denn Ägypten beabsichtigt als erstes afrikanisches Land, 2036 Olympische Spiele auszurichten – und zwar in Sisi City. Die Stadtverwaltung verspricht auch einen Park, der doppelt so gross sein wird wie der Central Park in New York City. Dabei stellt sich allerdings die Frage, wie dieser Park angesichts der trockenen Landschaft, des Klimawandels und der knappen Wasservorräte des Landes bewässert werden soll.
Langsam zieht Leben in die Stadt ein. Bis Ende 2024 könnten 10’000 Familien nach Sisi City ziehen. Bereits Ende März 2023 arbeiteten dort bereits rund 48’000 Regierungsangestellte, da die Ministerien schrittweise umziehen. Sie pendeln vom Osten Kairos mit einem elektrischen Zug, der letztes Jahr in Betrieb genommen wurde.
Die Afrikanische Export-Import Bank will ein afrikanisches Handelszentrum aufbauen, in dem ihr globaler Hauptsitz, ein Konferenzzentrum und ein Hotel untergebracht werden sollen. Und ein Konsortium von Unternehmen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Südafrika kündigte an, in der neuen Hauptstadt ein Finanzzentrum errichten zu wollen.
Smart City für die breite Bevölkerung?
Die ägyptische Stadtverwaltung glaubt, dass ihr Smart-City-Konzept Unternehmen von überall her anziehen, zur wirtschaftlichen Entwicklung der gesamten Region beitragen und ein Vorbild für andere Länder Afrikas wird: Mit künstlicher Intelligenz sollen der Stromverbrauch, Gas und Wasser sowie die Abfallwirtschaft optimiert werden. Hightech-Sicherheitsdienste mit Tausenden von Überwachungskameras in der ganzen Stadt überwachen Verkehr und melden und Staus und Unfälle – aber filmen auch Menschen.
Gut möglich, dass die neue Metropole internationale Unternehmen und ausländisches Kapital anziehen wird, das die Wirtschaft ankurbelt. Die entscheidende Frage ist jedoch, wem diese Vorteile letztlich zugutekommen. Wahrscheinlich profitiert nur ein sehr, sehr kleiner Teil der Bevölkerung davon. Satellitenstädte in der Nähe von Kairo wie z.B. «6th of October» (1979 gegründet) und «New Cairo» (2000) florieren jedenfalls nicht und bestehen fast ausschliesslich aus «gated communities» für die gehobene Mittelschicht.
Laut der Regierung braucht es die neue Hauptstadt, um die wachsende Bevölkerung Ägyptens unterzubringen und um die Verkehrsüberlastung und Umweltverschmutzung in Kairo zu verringern. Tatsächlich weist Kairo eine der höchsten Bevölkerungsdichten der Welt auf. Im Grossraum leben über 22 Millionen Menschen – mit anarchischer urbaner Entwicklung. Kritiker:innen hingegen monieren, dass die neue Stadt vor allem dazu dienen soll, grosse Proteste von der Regierung fernzuhalten.
Zweifel ob der Lösung, eine exorbitant teure Stadt zu bauen, sind berechtigt. Wenn die Regierung auch nur einen Bruchteil der Investitionen nutzen würde, um Menschen in den bestehenden Städten zu helfen, könnten die Probleme der Überlastung und Umweltverschmutzung rasch und effektiv angegangen werden. Das grössenwahnsinnige Projekt hat viel mehr das Potenzial mit seinen Rekorden und Exzessen Ägypten in den Bankrott zu führen. Ein Land, in dem nach wie vor einer von drei Menschen in bitterer Armut lebt und der Hunger zunimmt.