Martin Menzi
*30.01.1929 †06.01.2024
Am 18. Juni 1955, Martin Menzi hatte gerade eben sein Studium als Agraringenieur an der ETH abgeschlossen, sass der damals 26-Jährige in einem Saal des Zürcher «Limmathauses» und gründete zusammen mit 13 Frauen und 40 Männern das Schweizerische Hilfswerk für aussereuropäische Gebiete (SHAG), das später in Helvetas umgetauft wurde.
Der Zweite Weltkrieg und die damit verbundenen Ängste prägten Martin Menzis Jugendjahre. Bereits im Gymnasium in Bern kam der wissenshungrige junge Mann in Berührung mit der Friedensbewegung und dem Internationalen Zivildienst (SCI). So habe er sich früh mit Fragen der Gerechtigkeit und mit der Not der anderen befasst, erzählte er 2010 in einem Interview. «Heute klingt das sehr idealistisch, aber da ich vor allem etwas gegen das Ungleichgewicht zwischen Norden und Süden unternehmen wollte, liess ich mich von der Nie-wieder-Krieg-Bewegung begeistern», sagte er rückblickend.
Die Gründung des SHAG wurde massgeblich durch die Erinnerungen an die Kriegszeit beeinflusst. «Wir wollten etwas gegen das Wohlstandsgefälle zwischen den Industrieländern und der Dritten Welt und gegen drohende Hungerkatastrophen unternehmen, um der Gefahr eines neuen Weltkrieges vorzubeugen», sagte Martin Menzi 2015 im Gespräch mit Helvetas, anlässlich des 60-Jahr-Jubibläums. Als erstes Hilfswerk der Schweiz, das sich ausschliesslich der Entwicklungszusammenarbeit widmete, galt es zunächst, diese der Schweizer Bevölkerung näher zu bringen. Martin Menzi leitete denn auch als Erster die Berner Ortsgruppe.
Dass die Initiant:innen des neuen Hilfswerks politisch eher links standen, machte das neue Hilfswerk in bürgerlichen Kreisen allerdings suspekt. «Ich war zu jener Zeit sowohl als Präsident des Schweizerischen Zivildienstes als auch in der Anti-Atomwaffenbewegung tätig, und der Bundesrat zog doch tatsächlich ernsthaft in Erwägung, Atomwaffen zu beschaffen! Somit zählte ich ebenfalls zu den verdächtigen Linken», sagte Menzi über sich. Doch von Beginn an war für die Gründerinnen und Gründer der jungen Organisation klar, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht parteipolitisch geprägt sein darf, sondern als solidarischer Akt unabhängig von Parteibuch gelten muss. Ein Anliegen, das Helvetas noch heute lebt.
Martin Menzi war mehrere Jahre im Helvetas-Vorstand tätig und präsidierte diesen ab 1966. 1968 gab er dieses Amt ab, um für den Dienst für technische Zusammenarbeit, die heutige Deza, in Indien zu arbeiten. Er zog mit seiner Familie los. Zusammen mit einem indischen Kollegen leitete er ein indisch-schweizerische Projekt für Viehzucht und Milchwirtschaft in Kerala. Weil es noch keine entsprechende Ausbildung für diese Art von Arbeit gab, bereitete er sich vornehmlich mit Büchern und einem Englischkurs auf die Aufgabe vor. Schon bald änderte er die Vorgehensweise im Projekt und richtete es flächendeckend auf die Bedürfnisse der gewöhnlichen Kleinbauernfamilien aus.
Martin Menzi lebte schon damals, was heute in der Entwicklungszusammenarbeit in aller Munde ist: Die lokale Bevölkerung einbeziehen und die Verantwortung an sie übertragen. Nebst der Einkommenssteigerung hatte das Projekt zum Ziel, Milch nicht als Luxusprodukt, sondern als erschwingliches Massenprodukt auf den Markt zu bringen, um so zur besseren Ernährung der Bevölkerung beizutragen. «Das Projekt erreichte weite Teile der armen Bevölkerung in Kerala. Die Allerärmsten ohne Land und Nutztiere konnten davon allerdings nicht direkt profitieren. Mit einem einzelnen Projekt können nie alle Probleme auf einmal gelöst werden», sagte er rückblickend.
Aus Indien brachte er auch die Erkenntnis heim, dass nicht in erster Linie das Geld, sondern die Zeit ein entscheidender Faktor für die Wirksamkeit eines Projektes ist. Nachhaltige Entwicklung braucht Zeit. Der zunehmenden Technokratisierung der Entwicklungszusammenarbeit stand er kritisch gegenüber. Fortwährend setzte er sich dafür ein, dass die menschlichen und sozialen Aspekte, die Begegnung mit den Menschen, im Vordergrund standen.
Von 1981 bis 1991 war Martin Menzi ordentlicher Professor und erster Direktor der Nachdiplomstudien für die Entwicklungszusammenarbeit (NADEL) an der ETH Zürich und teilte seinen reichen Erfahrungsschatz mit jungen Menschen. Zeitgleich präsidierte er den Stiftungsrat von Intercooperation, die 2011 mit Helvetas fusionierte.
Helvetas blieb er als Berater für Projekte in Äthiopien, Guatemala, Bhutan, Nepal, Sri Lanka und auch als Co-Direktor des Land- und Forstwirtschaftlichen Technikums in Bhutan, wohin es ihn kurz vor seiner Pensionierung nochmals zog, eng verbunden.
Martin Menzi starb kurz vor seinem 95. Geburtstag. Ungeachtet seines Alters beobachtete er das Weltgeschehen genau und hörte nie auf, kritische Fragen zu stellen. Die Kriege in der Welt und die dadurch verursachten Rückschritte in der Entwicklungszusammenarbeit beunruhigten ihn zutiefst. Er betrachtete die bewaffneten Konflikte mit grosser Sorge und als Hindernisse auf dem Weg zu einer gerechteren und friedlicheren Welt. Doch er liess sich davon nicht entmutigen und versuchte, seine Mitmenschen immer wieder dazu zu motivieren, sich für eine friedliche und gerechtere Welt einzusetzen.
Martin Menzi verstand es, Theorie und Praxis der Entwicklungszusammenarbeit auf einzigartige Weise miteinander zu verbinden und seine Ideen in die Tat umzusetzen. Und er schaffte es bis zuletzt, andere mit seinem Engagement anzustecken. Er war nicht nur ein guter Zuhörer, sondern strahlte auch eine unglaubliche menschliche Wärme aus, die alle berührte, die ihn kennenlernten. Er begegnete Menschen stets auf Augenhöhe, mit Respekt und Offenheit. Werte wie Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Frieden, die auch für Helvetas im Zentrum ihrer Tätigkeit stehen, waren ihm von grösster Bedeutung.
Wir nehmen Abschied von einer aussergewöhnlichen Persönlichkeit. Seine tiefe Verbundenheit mit den Menschen, seine inneren Überzeugungen und Werte werden uns als Inspiration für die weitere Arbeit dienen.