Sie dokumentieren Kriegsverbrechen, backen Brot für Vertriebene, kämpfen an der Front oder räumen auf, was Raketen zerstören. Die Ukraine hat eine sehr lebendige, starke Zivilgesellschaft – nicht erst seit Kriegsbeginn.
Mehr als 90 Prozent der humanitären Hilfe in der Ukraine wird von ukrainischen Organisationen geleistet. «Eigeninitiative ist ein bewährtes Mittel, seit dem Krieg noch viel mehr», schrieb der ukrainische Fotograf Lesha Berezovskiy in seiner Kolumne im Schweizer Online-Magazin «Republik». Er hat auch schon für Helvetas fotografiert. Freund:innen von ihm haben nach Kriegsbeginn die Organisation «Livyj Bereh» gegründet. Der Name bedeutet «linkes Ufer», also die östliche Seite des Flusses Dnipro.
Bei Kriegsbeginn wurden die meisten Brücken über den Fluss zerstört, weshalb die Menschen im Osten kaum versorgt werden konnten. Leshas Bekannte nutzten trotz Gefahr die einzige verbleibende Brücke und verteilten zunächst Essen und Medikamente, bald darauf begannen sie mit konkreter Wiederaufbauhilfe.
Freiwilliges Engagement mit Tradition
Organisationen wie «Livyj Bereh» gibt es in der Ukraine Tausende. Der Angriffskrieg Russlands hat eine enorme Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. Waren vor dem Krieg rund 800 gemeinnützige Organisationen in der Ukraine registriert, waren es Ende 2022 bereits weit über 6000.
Das Engagement der ukrainischen Zivilgesellschaft zeigte sich bereits 2014 bei der «Revolution der Würde» – auch als Euromaidan bekannt. Damals wollte die Regierung sich von der EU abwenden – die Ukrainer:innen protestierten mutig dagegen, trotz Polizeigewalt und Toten. In der Schlussphase der Proteste begann Russland, die Krim und später die Regionen Donezk und Luhansk zu annektieren. Wenn der Angriff Russlands auf die Ukraine etwas ausgelöst hat, dann eine noch stärkere Identifikation mit einem Land, das auf dem Weg zu einer demokratischen, pluralistischen und offenen Gesellschaft ist. Und das freiwillige Engagement ist ein starker Ausdruck des Widerstandes.
Lokale Organisationen stärken
Doch von allen ukrainischen Freiwilligenorganisationen haben weniger als ein Prozent direkten Zugang zu internationaler Unterstützung und Mitteln. Helvetas unterstützt deshalb zusammen mit der Glückskette und Spenden aus der Schweiz über 80 ukrainische NGOs finanziell. So zum Beispiel «Artdacha». Die Organisation fokussierte sich bereits vor dem Krieg auf Kultur, Bildung, Gesundheitsfürsorge und psychische Entwicklung. Heute leistet «Artdacha» auch Soforthilfe mit Lebensmittelpaketen und Hygienekits und flickt in nicht mehr besetzten, kriegsversehrten Dörfern rund um Charkiw die Stromversorgung für die Bewohner:innen.
Die Organisation ist bestens vernetzt und kennt daher die Bedürfnisse der Menschen in der Region. Nebst finanzieller Unterstützung stellt Helvetas den freiwilligen Elektriker:innen Werkzeuge und Wissen aus dem Repair Hub in Charkiw zur Verfügung. Im August wird ein Schutzbunker eröffnet, der dank «Artdacha» barrierefrei gebaut wird und damit auch zugänglich ist für Menschen mit Behinderungen.