© Helvetas

Schweiz und Menschenrechte: Die Debatte ist lanciert

Für einmal war es ein Murks: Nach langem hin und her reichte die SVP heute Freitag ihre Anti-Menschrechtsinitiative nun doch ein. Obwohl die benötigten 100‘000 Unterschriften schon seit Monaten vorlagen, war lange Zeit nicht klar, ob sie auch wirklich bei der Bundeskanzlei deponiert würden.
VON: Bernd Steimann - 12. August 2016
© Helvetas

Die sonst so forsche Parteispitze zögerte – nach den jüngsten, schmerzhaft deutlichen Abstimmungsniederlagen bei der Durchsetzungsinitiative (DSI) und der Asylgesetzrevision herrschte plötzlich Vorsicht.

Doch nun ist die Initiative offiziell eingereicht – und es handelt sich einmal mehr um schweres Geschütz. Unter dem beschönigenden Titel «Selbstbestimmungsinitiative» will sie Schweizer Recht prinzipiell über internationales Recht stellen. Damit müssten alle bestehenden Staatsverträge, welche nie einem Referendum unterlagen, bei einem allfälligen „Konflikt“ mit dem Schweizer Gesetz neu verhandelt oder dann aber gekündigt werden. Was abstrakt tönt, hat ein ganz konkretes Ziel: Der SVP geht es um nichts Geringeres als um die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) durch die Schweiz.

Diese ist der Rechtsaussenpartei auf ihrem Weg zur «absoluten Volksherrschaft»  schon seit längerem ein Dorn im Auge. Nach dem gescheiterten Versuch, mittels DSI in der Schweiz eine Zweiklassenjustiz einzuführen, folgt nun der Frontalangriff auf den Menschenrechtsschutz für alle. Daher hat diese Initiative so gar nichts mit Selbstbestimmung zu tun, sondern ist schlicht und einfach eine Anti-Menschenrechtsinitiative. Welche verheerenden Folgen sie für uns alle haben könnte, zeigt die Kampagne Schutzfaktor M eindrücklich auf.

Doch die Zeiten, da die SVP ein Thema besetzen und die öffentliche Debatte fast nach Belieben dominieren konnte, sind zum Glück vorbei. Spätestens während des Abstimmungskampfs zur DSI im vergangenen Februar wurde klar, dass in der Schweiz wieder energisch um die Deutungshoheit in wichtigen politischen Fragen gerungen wird, und zwar weit über die Parteigrenzen hinaus. Gerade die Menschenrechte sind ein ausgezeichnetes Beispiel dafür.

So wurde die Frage, welchen Stellenwert international anerkannte Grundrechte für unser Land haben sollen, bereits vor Jahren von der Zivilgesellschaft aufgeworfen – wenn auch mit ganz anderen Absichten. Und weil die Schweizer NGOs mittlerweile gelernt haben, wie man solchen Fragen politisches Gewicht verleiht, werden sie in etwas weniger als zwei Monaten ebenfalls Kisten mit Unterschriften zur Bundeskanzlei tragen – und zwar ohne zu Zögern. Dann nämlich wird eine bisher nie dagewesene Koalition aus rund 80 zivilgesellschaftlichen Organisationen die Konzernverantwortungsinitiative einreichen. Diese fordert einen besseren Schutz der Menschenrechte für all jene Personen, die von den Geschäftstätigkeiten international tätiger Konzerne mit Sitz in der Schweiz betroffen sind. Konkret geht es um eine gesetzlich verankerte Sorgfaltsprüfungspflicht für Unternehmen, damit Menschenrechtsverstösse in Zukunft auch im Ausland besser verhindert werden können. Gemäss einer kürzlich publizierten, repräsentativen Umfrage unterstützen derzeit rund 90 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten dieses Anliegen.

90 Prozent für einen besseren Schutz der Menschenrechte – das ist ein sensationell gutes Resultat, das auch der SVP zu denken geben sollte. Daraus abzuleiten, dass die Meinungen bereits gemacht sind, wäre jedoch mehr als verfrüht, denn bis zu den entsprechenden Abstimmungsterminen in zwei bis drei Jahren kann noch einiges passieren. Soviel aber ist klar: Die Debatte um den Stellenwert der Menschrechte für die Schweiz ist spätestens seit heute definitiv lanciert – und sie wird kaum einseitig geführt werden können.

Kampagne 2021 Mosambik | © Ricardo Franco
Schaffen Sie Chancengerechtigkeit.
Wo wir geboren werden, entscheidet, welche Chancen wir haben.
Wir sind überzeugt, dass jeder Mensch eine faire Chance braucht, um sein Potenzial zu entfalten und sich aus der Armut zu befreien. Deshalb setzen wir uns für faire Chancen ein.
© Ricardo Franco