Radikale Forderung
Die Volksinitiative, welche der Nationalrat seit dieser Woche behandelt, stammt von der SVP. Sie fordert, die Schweizer Bundesverfassung mit wenigen Ausnahmen stets über das Völkerrecht zu stellen. Jegliche völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz, welche nicht im Einklang mit unserer Verfassung stehen, sollen demnach neu ausgehandelt oder gekündigt werden.
Das ist eine ziemlich radikale Forderung, die ganz gezielt das rechtsbürgerliche Feindbild der «fremden Richter» kultiviert. Bei einer Annahme der Initiative, über die wir aller Voraussicht nach am 25. November abstimmen werden, wäre der Bundesrat gezwungen, eine ganze Reihe höchst relevanter Abkommen zu kündigen. Dazu gehört auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), welcher die Schweiz seit 1974 angehört und die in unserem Land den Schutz der Menschenrechte garantiert.
Falsche Sicherheit
Spätestens hier wenden die Initianten jeweils ein, dass nichts den Schutz der Menschenrechte so gut garantieren könne wie das Schweizer Recht und das Bundesgericht, und dass die EMRK folglich überflüssig sei. Sie vergessen dabei gerne, dass selbst ein Rechtsstaat wie die Schweiz nicht davor gefeit ist, mit seiner Rechtsprechung hin und wieder gegen die Menschenrechte zu verstossen. Die EMRK garantiert darum Schutz vor staatlicher Willkür – für jede und jeden einzelnen von uns. Die allermeisten von uns werden sich höchstwahrscheinlich nie darauf berufen müssen. Doch es gibt immer wieder Einzelfälle – sie sind bestens dokumentiert –, in denen Schweizerinnen und Schweizern erst die EMRK zu ihrem guten Recht verholfen hat.
Nicht selten gehören diese Menschen zu einer jener Gruppen, mit denen wir nun gegen diese Initiative Stellung beziehen: Behinderte, LGBT-Menschen, Geflüchtete, Menschen mit psychischen Problemen und andere Gruppen am Rande der Gesellschaft. Aber die EMRK schützt auch alle anderen Menschen, die in diesem Land leben, von rechts bis links, von Ausländer bis Urschweizer, von arm bis reich.
Glaubwürdigkeit erhalten
Diese Errungenschaft ohne Not aufzugeben, halten wir für grobfahrlässig. Denn aus eigener Erfahrung in Ländern wie Laos, Äthiopien oder Honduras wissen wir, was es bedeutet, wenn die Menschenrechte nicht genügend geschützt werden und Menschen staatlicher Willkür ausgesetzt sind. Wo Grundrechte nicht gesichert sind, ist langfristig keine nachhaltige Entwicklung möglich. Das Verbessern der rechtlichen Rahmenbedingungen ist darum eine unserer zentralen Aufgaben als Schweizer Entwicklungsorganisation.
Noch steht das Schweizerkreuz in vielen Ländern für Zuverlässigkeit, für Engagement und Loyalität mit den Benachteiligten und Unterdrückten. Mit diesen Werten wollen wir uns auch in Zukunft dafür einsetzen, dass Menschen in ihrer Heimat in Würde und Sicherheit leben können. Bei einer Annahme der Selbstbestimmungsinitiative könnten wir dies kaum mehr glaubwürdig tun. Darum setzen wir uns auch hier in der Schweiz, zusammen mit unseren über hundert Alliierten, überzeugt gegen die diese Initiative zur Wehr.