Vor etwas mehr als einem Monat wurde in Niger, dem Land im Nordwesten Afrikas, ein Staatsstreich verübt. Dabei wurde der demokratisch gewählte Präsident gestürzt, das Militär hat die Macht übernommen. Helvetas ist seit 2012 in Niger, einem der ärmsten Länder der Welt, tätig. 2021 lebten über 40 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut. Helvetas setzt sich insbesondere für den Zugang zu sauberem Trinkwasser ein. Bruno Métral, unser Länderverantwortlicher für Niger, erklärt wie sich die aktuellen Ereignisse im Land auf die Bevölkerung auswirken und was sie für die Arbeit von Helvetas bedeuten.
1) Wie wirkt sich der Putsch auf den Alltag der Zivilbevölkerung aus?
Die Geschäfte und die Märkte sind derzeit noch geöffnet, aber gewisse Güter werden wohl knapp werden; die Grenzen mit Benin und Nigeria – wichtigste Einfuhrorte für Importgüter – sind geschlossen. Burkina Faso organisiert Güterkonvois, aber die Mengen sind sehr begrenzt und reichen nicht aus, um die ausgesetzten Importe zu kompensieren. In der Folge sind die Preise von Importwaren förmlich explodiert. An der südlichen Grenze vom Niger zu Benin kostete ein 100-kg-Sack Mais einst umgerechnet 38 Schweizer Franken, heute sind es 58 Franken. Auch der Preis für importierten Reis ist angestiegen. Die Preise für lokale Lebensmittel – zum Beispiel Fleisch und lokaler Reis – blieben hingegen bis anhin stabil. Die Versorgungsprobleme beschränken sich jedoch nicht auf Lebensmittel, auch Medikamente, insbesondere Insulin, werden knapper.
2) Was ist die grösste Sorge der Menschen?
Die finanzielle Situation. Nebst den steigenden Preisen gibt es auch Schwierigkeiten bei Geldüberweisungen aus dem Ausland. Die Banken haben die täglichen Geldabhebungen an Geldautomaten eingeschränkt und ausländische Unternehmen stehen vor einem Liquiditätsengpass und haben deshalb Schwierigkeiten, die Gehälter auszuzahlen. Im öffentlichen Dienst wurden fast alle Juli-Gehälter für Beamte ausbezahlt, aber nicht für sogenanntes Vertragspersonal. Alle warten nun ab, ob die August-Gehälter bezahlt werden. Werden sie es nicht, ist fraglich, ob das neue Schuljahr am 15. September beginnen kann. Den Menschen fehlt zudem der Strom, ein Grossteil davon wird von Dieselgeneratoren erzeugt oder aus den Nachbarländern importiert. Verteilt wird er derzeit nach Stadtteilen und zeitweise, es kommt zu stundenlangen Stromausfällen. Gerade in einer Jahreszeit, in der die Temperaturen auf über 40 Grad steigen können, ist dies sehr problematisch.
3) Sind die Strassen im Land offen? Und wie sieht es mit den Grenzen aus?
Man kann sich im Land fortbewegen, aber die bereits vor dem Staatsstreich unsichere Situation dauert an. Wie gesagt sind die Grenzen zu Nigeria und Benin geschlossen, die Grenzen zu Burkina Faso, Mali und dem Tschad bleiben jedoch offen. Was den Luftraum betrifft, so ist er grundsätzlich geschlossen. Zwar wurden einige kommerzielle Flüge wieder aufgenommen – insbesondere die von Air Algérie –, doch anscheinend erst sporadisch. Eine offizielle Ankündigung, dass die Luftgrenzen wieder geöffnet werden, gab es bisher nicht.
4) Die Schweiz hat Schweizer Mitarbeiter:innen aus Niger abgezogen. Wie geht es den lokalen Helvetas Mitarbeitenden vor Ort?
Unmittelbar nach dem Putsch wurden die Helvetas Büros in Niger geschlossen und das Personal hat bis Mitte August auf Homeoffice umgestellt. Während sich in unseren beiden Regionalbüros die politische und soziale Lage nicht verändert hat, ist sie in der Hauptstadt Niamey etwas angespannter. Steigende Preise, Stromausfälle und geschlossene Grenzen erschweren natürlich auch den Alltag unserer Kolleg:innen. Von den beiden in Niger tätigen ausländischen Mitarbeitenden war einer zum Zeitpunkt des Staatsstreichs ausser Land. Der zweite konnte mit seiner Familie repatriiert werden. Im Moment arbeiten beide im Homeoffice in ihrem Heimatland, bis sich die Situation normalisiert.
5) Helvetas engagiert sich seit 2012 in Niger, vor allem in ländlichen Gebieten, in den Bereichen Zugang zu Trinkwasser, sanitäre Grundversorgung, Landwirtschaft und Migration. Kann sie ihre Arbeit fortsetzen?
Im Moment können wir den Grossteil unserer Tätigkeiten fortsetzen, auch wenn es gewisse Schwierigkeiten bei der Fortbewegung gibt. Der von den Putschisten eingesetzte Nationale Rat zur Rettung des Vaterlandes (Conseil National pour la Sauvegarde de la Patrie) hat in allen acht Regionen Nigers Militärs zu Gouverneuren ernannt. Die von der Bevölkerung gewählten Gemeinde- und Regionalräte – unsere wichtigsten Partner bei der Umsetzung unserer Projekte – sind nach wie vor im Amt. Unsere Arbeit hat sich also nicht erheblich verändert. Wir analysieren die Situation weiterhin ständig, um die Sicherheit unserer Mitarbeitenden zu gewährleisten.