«Unsere Gesundheit hat sich merklich verbessert», erzählt etwa Dado Jacoubou. «Was wir essen, ist jetzt sauber», wirft Rébéka Jonas ein. «Wenn man einmal Wasser vom Brunnen getrunken hat, kann man nicht zurück», sagt Maimounatou Soulé. Die Frauen auf den Bänken hinter der Schule nicken. Bei 40 Grad hat es niemand eilig, den schattigen Platz rasch zu verlassen. Die Frauen lauschen den Geschichten und bekräftigen mit einem langgezogenen «ooo» die Aussagen ihrer Nachbarinnen, Freundinnen, Verwandten oder Bekannten.
In Toumarou wurde vor zwei Jahren ein Wassersystem gebaut. Das Dorf ist Teil einer weitläufigen Gemeinde weit im Norden Benins nahe der Grenzen zu Burkina Faso im Westen und Niger im Norden. Da es in Toumarou keinerlei sichere Wasserversorgung gab, entschieden die Verantwortlichen zusammen mit den Schulbehörden, hier eine aufzubauen. An einer Dorfversammlung, wie diejenige heute, erfuhr die Dorfbevölkerung diese erfreuliche Nachricht.
Der genaue Standort der Bohrung für die Wasserstelle wurde nach einer geophysikalischen Studie festgelegt; gebaut wurde sie von lokalen Fachleuten, freudig beobachtet von der Dorfbevölkerung. Da Helvetas schon lange mit den Behörden im Norden des Landes zusammenarbeitet, übernahm Helvetas die Finanzierung der Wasserversorgung von Toumarou (siehe Kasten).
Nun ragt auf der freien Fläche beim Schulhaus ein Wasserturm in den Himmel. Eine solarbetriebene Pumpe befördert das wertvolle Nass aus der Tiefe in das schwarze Behältnis, von wo es zu zwei Wasserstellen mit jeweils vier Hähnen fliesst – eine für die Schule, eine fürs Dorf.
«Am Tag, als der Brunnen gebohrt wurde, war ich voller Freude», erzählt Moussa Soumanou, der gewählte Vertreter des Dorfes im Bezirksrat, eines Gremiums, das dem Gemeinderat rapportiert. Es gebe seither ein «Früher» und ein «Heute».
Auf die Frage nach dem «Früher» entfährt der Direktorin der Schule von Toumarou, Bénédicte Sogbadji, ein spontanes «ouff». Sie zeigt auf den trägen Fluss hinter der Schule. «Früher war es eine Katastrophe. Das war unsere Wasserquelle.» Im reglosen Wasser stehen Büffel, wirbeln Dreck auf und pinkeln ins Wasser. «Hier wurden Kleider und Geschirr gewaschen – alles. Wir nahmen dieses Wasser und brauchten es, damit die Kinder ihre Hände waschen konnten. Wir hatten keine Wahl», erzählt sie.
Um es zu trinken, wurde das Wasser zuerst behandelt, «doch die Kinder tranken es manchmal direkt vom Fluss». Bénédicte Sogbadji schaudert es immer noch, wenn sie daran denkt. «Wir konnten nicht überall sein und es ihnen verbieten. Dafür habe ich zu viele Kinder in der Schule.»
Maimounatou Soulé, Bäuerin und Tofuproduzentin
Von der unbeschwerten Kindheit ...
Doch zurück zu Maimounatou, Rébéka und Dado, den jungen Frauen, die an der Dorfversammlung ihre Geschichten erzählt haben. Sie unterstützen sich gegenseitig, selten ist eine allein anzutreffen. «Stell dir vor, du hast Wasser im Bauch, das nicht mal deine Kleider sauber machen kann.» In nur einem Satz verbildlicht Maimounatou, 25, ihrerseits die Situation von früher und erzählt ihre Geschichte: Mit fünf Jahren schickten ihre Eltern sie von ihrem 280 Kilometer entfernten Elternhaus hierher nach Toumarou, um bei ihrer Tante zu leben, weil diese keine Töchter hatte.
«Ich mochte sie sehr», sagt Maimounatou. Sie arbeitete mit der Tante auf dem Feld, im Garten und im Haus. Eine Schule gab es damals in Toumarou nicht. Auch sie holte Wasser am Fluss und sagt rückblickend: «Meine Gesundheit als Kind war viel schlechter. Heute geht es uns viel besser.»
Als sie älter wurde, ging sie mit den anderen jungen, unverheirateten Mädchen und Jungen jeweils während der Baumwollernte auf die Felder, um zu helfen. «Ich war immer die Erste und die Flinkste auf dem Feld.» Und da war einer, der wollte auch immer der Erste sein. «Ich mochte, dass er fleissig war. Er sagte mir, dass er sich so eine Frau wie mich wünsche, damit es ihm gut gehe. Heute ist er mein Mann. Es war eine schöne Zeit. Wir waren jung.» Die beiden haben einen sechsjährigen Sohn, Orou.
... ins Erwachsenenleben
Die Familie lebt von den Feldfrüchten, die ihr Mann Bio anbaut: Baumwolle, Mais, die Hirseart Sorghum. Der Mais wird getrocknet und später zerstossen für die tägliche «Bouillie», ein flüssiger Brei aus Mais oder aber auch Hirse. Abends kocht sie einen dickeren Maisbrei mit klebriger Sauce mit Zutaten aus dem Garten, wo Okraschoten, Tomaten und Rüebli wachsen. Was Maimounatou nicht selbst auf dem Markt verkauft, geht in den Direktverkauf ab dem Feld.
Wenn immer möglich, und vor allem, wenn die Felder nichts hergeben, produziert sie «fromage de soja», Tofu. «Ich verdiene das tägliche Geld für unsere Familie. Einen Teil lege ich zur Seite, um die Sojabohnen zu kaufen. Mit einem Teil decke ich die Kosten für die Schule von Orou und ein kleines bisschen ist für mich.» Ihr Mann Bio verdient nur, wenn er ernten kann. «Die Landwirtschaft wirft aber nicht so viel Geld ab. Die Ernten sind unterschiedlich gut», sagt Maimounatou.
Doch das Glück der Familie ist überschattet. «Sie hiess Bounon», erzählt sie leise. «Für ihre Geburt ging ich nach Abonga, weil es dort ein Gesundheitszentrum gibt. Sie war gross, darum kam sie mit Kaiserschnitt auf die Welt. An diesem Tag gebaren vier andere Frauen ihre Kinder. Aber Bounon war die Schönste. Sie war die Attraktion, weil sie so gross war. Alle wollten sie halten. Du hättest sie sofort mit nach Hause genommen. Aber ich hätte sie dir nicht gegeben.» Tränen fliessen in ihr Lächeln. «Sie hat gerne gelacht. Orou hatte viel Spass mit ihr.»
Die kleine Bounon starb mit drei Jahren. Es gibt keine Worte für die Trauer der Mutter. Kein Arzt fand heraus, was dem kleinen Mädchen fehlte, als es plötzlich an Gewicht verlor. Im Spital konnte ihm niemand helfen. Wohl darum hätte Maimounatou am liebsten, dass Orou eines Tages Arzt wird, dass er hier im Dorf eine Klinik aufbaut, «damit wir Frauen nicht mehr auf der Strasse gebären müssen». Damit er Leben rettet. Wie dasjenige seiner kleinen Schwester, die nicht mehr ist. Zugleich weiss sie: «Wenn er Arzt wird, wird ihn das Dorf nicht halten können, hier gibt es keine Perspektiven. Aber egal wo er ist, er soll anderen helfen und sein Dorf hier nie vergessen und es unterstützen. Er soll nicht versauern wie viele hier.»
Der Lieblingsmoment
Zeit für sich selbst und ihre Gedanken hat Maimounatou eigentlich nur früh morgens, wenn sie den Hof wischt. Eine Tätigkeit, die sie liebt, weil dann alles sauber sei. «Und ich wasche gerne meine Wassertonne aus und den Topf, in dem ich Wasser aufwärme. Denn ich weiss, dass verunreinigtes Wasser schlecht ist für die Gesundheit.»
Doch ihr Lieblingsmoment kommt abends, wenn sie ihren Sohn bettet. «Ich lege mich dann mit ihm auf unsere Schlafmatte und gebe ihm Ratschläge mit in die Nacht. Etwa, wie er sich hinlegen soll, damit er gut schläft. Aber auch, dass er morgens immer alle grüssen muss: Grossmutter, Grossvater, seinen Papa . . . Manchmal schauen wir zusammen auf den Tag zurück. Ich frage ihn gerne, was er in der Schule gemacht hat, und schärfe ihm ein, dass er seine Hausaufgaben immer gut machen muss. Ich sage ihm, er soll seiner Lehrerin immer gut zuhören. Und richtig von der Wandtafel abschreiben. Und wenn er etwas nicht versteht, soll er bei der Lehrerin nachfragen, bevor er nach Hause kommt.»
Sie selbst bereut zutiefst, dass sie nie die Gelegenheit hatte, zur Schule zu gehen. «Ohne Schulbildung kann ich keinen Beruf erlernen. Ich bin Hausfrau und arbeite im Garten. Ich stehe mit meinen Füssen im Schlamm. Wäre ich zur Schule gegangen, hätte ich saubere Füsse.» Manchmal empfindet sie noch heute Wut darüber. Oder Scham. «Viele hier in Toumarou denken, dass ich gebildet bin, weil ich oft eine Antwort habe auf ihre Fragen. Aber es reicht, dass Fremde nach dem Weg fragen, um zu merken, dass ich kein Französisch gelernt habe. Ich kann es nicht sprechen und schäme mich dafür.» Wäre sie zur Schule gegangen, wäre sie heute Schulleiterin, sagt sie. «Ich würde in jedes Haus im Dorf gehen und allen Leuten sagen, dass Schulbildung wichtig ist. Dass ihre Kinder Französisch lernen müssen.
Lückenloser Schulbesuch
Und das tun die Kinder aus Toumarou inzwischen. Das Dorf selbst hat vor etlichen Jahren in Eigeninitiative und auf eigene Kosten ein einfaches Schulhaus gebaut und eine Lehrperson angestellt. Später finanzierte die Schweiz ein grösseres Schulgebäude; die Lehrpersonen, darunter die Schuldirektorin, werden nun vom Staat bezahlt. Aufmerksam sitzt auch der kleine Orou im Unterricht und lauscht der beliebten Direktorin, die in die Runde frägt, warum dreckiges Wasser aus dem Fluss nicht gut für die Menschen ist. Er singt schüchtern mit beim Wasserlied, das sie erfunden und den Kindern beigebracht hat. Die Voraussetzung dafür, dass er die Schule besuchen kann, ohne wegen Bauchschmerzen oder Durchfall zu fehlen, ist gegeben, seit auf dem Schulhof aus den Hähnen sauberes Trinkwasser sprudelt. «Früher hat es keinen Tag gegeben, ohne dass ein Kind erbrechen musste. Kein Tag, ohne dass beim Appell Kinder fehlten. Kein Tag, an dem wirklich alle da waren. Das ist heute anders», sagt Schuldirektorin Bénédicte Sogbadji zufrieden.
Mit dem sauberen Wasser habe sich alles verändert. So auch die Energie der Kinder. «Wenn ich heute die Kinder sehe, die sich mit sauberem Wasser die Hände waschen, dann empfinde ich grosse Freude im Herzen», sagt Bénédicte. «Denn sauberes Wasser ist wie ein Medikament, das viele Krankheiten verhindert.» Unvermittelt fügt sie hinzu: «Ich möchte den Menschen in der Schweiz ein grosses Merci zukommen lassen. Ein Dankeschön, weil wir jetzt in Toumarou Leben haben. Denn Wasser ist Leben. Wer an uns gedacht und uns Wasser gegeben hat, der hat uns Leben geschenkt.»
Die Dorfversammlung geht ihrem Ende zu. Der Griot, der Geschichtenerzähler des Dorfes, schlägt seine Trommel erneut und schliesst mit einem Lied für die Menschen im Dorf, aber auch die Besucher:innen aus der Ferne.
Kontext Benin:
Benin ist ein Land der Gegensätze: Im Süden am Meer liegt die feuchtheisse, betriebsame Wirtschaftsmetropole Cotonou – Ziel unzähliger junger Männer und Frauen auf der Suche nach wirtschaftlichen Perspektiven. Im Norden der Sahel – staubtrocken, heiss und bitterarm. Während im Landesdurchschnitt drei Viertel der Menschen Zugang zu sicherem Trinkwasser hat, ist es im dünn besiedelten Norden lediglich die Hälfte. Um auch die Bevölkerung ausserhalb der Städte mit Wasser zu versorgen, hat die Regierung eine nationale Behörde geschaffen, die die Wasserinfrastruktur in ländlichen Regionen entwickelt und organsiert und entsprechende Bauvorhaben umsetzt. Von ihr eingesetzte Pächter sind für Betrieb und Wartung der Wassersysteme zuständig. Die Kosten müssen über die jeweiligen Wassergebühren gedeckt werden, die staatlich plafoniert sind. Die Behörde baut jedoch hauptsächlich komplexe Trinkwasserversorgungssysteme, an die mehrere Ortschaften angehängt werden. So bleiben in kleinere, isolierte Dörfer oft ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser. Deshalb setzt Helvetas in Benin Wasserprojekte in abgelegenen Dörfern um, damit Schulen und Gesundheitszentren mit sauberem Wasser versorgt sind. Das Projekt wird mit Spenden, Stiftungsbeiträgen und aus Mitteln des Deza-Programmbeitrags finanziert.