Wenn der Bundesrat die Einführung der Mindeststeuer verschiebt, erweist er sich als Höriger der Konzernlobby. Es wäre ein demokratiepolitischer Skandal. Steuerpolitisch bleibt die Mindeststeuer aber so oder so ein Rohrkrepierer.
Medienkommentar des entwicklungspolitischen Kompetenzzentrums Alliance Sud, das von Helvetas und anderen grossen Schweizer Hilfswerken getragen wird.
Am Freitag wird der Bundesrat aller Voraussicht nach entscheiden, ob er die OECD-Mindeststeuer auf Anfang Jahr einführen wird oder dies verschiebt. Tut er letzteres, wäre das eine Kapitulation vor der Konzernlobby um economiesuisse und Swiss Holdings, die dies mit fadenscheinigen Argumen-ten seit einigen Wochen fordert. Die bürgerlichen Mehrheiten in den Wirtschaftskommissionen (WAKs) sind dem Druck der Konzernverbände bereits gefolgt: Nachdem die WAK-S den Bundesrat Anfang November in einem Brief aufforderte, eine Verschiebung der Einführung zu prüfen, folgte ihr ihre Schwesterkommission des Nationalrates ein paar Wochen später.
Aus einer streng entwicklungspolitischen Sicht wäre eine Verschiebung unproblematisch: Sie gäbe unter anderem den Produktionsländern der Schweizer Konzerne im Globalen Süden zumindest vorübergehend die Möglichkeit, zusätzliche Steuereinnahmen aus Konzerngewinnen zu generieren, die zwar dort erzielt werden, aber bei einer hiesigen Einführung der Mindeststeuer von der Schweiz abgeschöpft würden.
Aus demokratiepolitischer Sicht wäre eine Verschiebung durch den Bundesrat allerdings ein Skandal: Noch im Abstimmungskampf zur Mindeststeuer im Juni hatten sowohl Finanzministerin Karin Keller-Sutter als auch die Konzernlobby in der bei wirtschaftspolitischen Vorlagen üblichen Harmonie vehement auf eine möglichst schnelle Einführung gedrängt. Sie behaupteten, dass bei einem Nein zur Mindeststeuer ab 2024 massive Verluste von Steuereinnahmen drohten und Schweizer Konzerne international grosse Probleme bekommen würden. Gemäss Vox-Analyse zur Abstimmung war v. a. ersteres für viele Ja-Stimmende entscheidend. Es waren die Hauptargumente gegen das «Nein, aber» der SP, der Gewerkschaften und von Alliance Sud. Sie alle waren für ein Nein, damit Bundesrat und Parlament danach eine neue bessere Vorlage zimmern können, die die Mehreinnahmen aus der Mindeststeuer sowohl im Inland wie im Ausland gerechter verteilt. Mit dem inhaltsleeren Argument der Dringlichkeit torpedierten die Befürworter:innen diese Forderung.
Nun wollen sie davon plötzlich nichts mehr wissen. Das Argument: Die internationale Lage habe sich seit Juni massiv verändert. Den Fakten hält diese Behauptung allerdings nicht stand: Bereits im Frühsommer war klar, dass wichtige Länder wie die USA oder China die neue Steuer vorerst nicht einführen werden und damit das ganze neue System massiv schwächen werden. Das versuchten Bundesrat und Konzernlobby damals zu verschweigen und führten die Stimmbürger:innen in die Irre – zum Nachteil einer grossen Mehrheit der Menschen in der Schweiz und in den Produktionsländern der Schweizer Konzerne weltweit. Sie wurden um die Aussicht auf eine bessere Vorlage gebracht. Erfüllt der Bundesrat die Wünsche der Konzernlobby, macht er klar: Entscheidend sind für ihn nicht die Aussicht auf Mehreinnahmen für den Schweizer Fiskus, sondern die nackten Interessen der Konzerne und ihrer Aktionär:innen.
Die grundsätzlichen Schwächen des neuen OECD-Systems bleiben aber so oder so erhalten: Ein Grossteil der Länder vor allem im Globalen Süden wird sowieso nicht profitieren und überall sonst hebeln zahlreiche Schlupflöcher und Ausnahmen die Effektivität der Mindeststeuer aus. Nach jahrelangen Verhandlungen zeigt sich: Die OECD ist an ihrem eigenen Anspruch, das globale Konzern-steuersystem etwas fairer zu gestalten, gescheitert. Nun ruhen die Hoffnungen vieler auf der UNO.
Für weitere Informationen:
Dominik Gross, Experte für Steuerpolitik bei Alliance Sud: dominik.gross@alliancesud.ch, Tel. 078 838 40 79.