Um die Zivilgesellschaft in der politischen Debatte zu schwächen, will Ständerat Ruedi Noser mit einer Motion die Steuerbefreiung aller gemeinnützigen Organisationen überprüfen lassen. Zahlreiche ExpertInnen und ProfessorInnen befürchten einen Rückschlag für die Schweizer Demokratie, sollte der Nationalrat am Donnerstag dem Vorstoss zustimmen.
Medienmitteilung der entwicklungspolitischen Dachorganisation Alliance Sud, die von Helvetas und anderen grossen Schweizer Hilfswerken getragen wird.
Peter Arbenz, Mitglied der FDP Winterthur und ehemaliger Präsident der Beratenden Kommission des Bundesrats für internationale Zusammenarbeit:
«Die direkte Demokratie der Schweiz lebt vom Engagement ihrer gemeinnützigen Vereine, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen: Sie sind ein wichtiger Pfeiler unserer Zivilgesellschaft und es gibt keinen Grund, ihnen die politische Mitsprache zu erschweren.»
Dina Pomeranz, Professorin für angewandte Wirtschaft an der Universität Zürich und Mitglied des Zentralvorstands von Helvetas:
«In meiner internationalen Forschung in verschiedensten Ländern auf der ganzen Welt sehe ich immer wieder, wie schädlich es für die Entwicklung eines Landes sein kann, wenn nicht-staatliche Akteure mit negativen Konsequenzen rechnen müssen, wenn sie sich politisch einbringen. Die offene politische Kultur der Schweiz ist einer ihrer grossen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgsfaktoren.»
Nenad Stojanovic, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Genf:
«Wenn gemeinnützige Organisationen sich in Zukunft aufgrund eines drohenden Verlustes der Steuerbefreiung nicht mehr politisch engagieren, kommt dies einer massiven Einschränkung des zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraums sowie einer grossen Qualitätseinbusse der demokratischen Debatte gleich.»
Marcelo Kohen, Professor für Völkerrecht am Graduate Institute of International and Development Studies in Genf:
«In der Schweiz gibt es eine lange Tradition des aktiven Engagements von NGOs, wenn sie ein Abstimmungsthema betrifft. Fast immer vertreten sie dabei auch gegensätzliche Positionen: Ihre Steuerbefreiung in Frage zu stellen, ist eine bedauerliche Art und Weise, den demokratischen Raum der Schweiz zu beschneiden, und eine Bedrohung, die das Recht auf freie Meinungsäusserung beeinträchtigt.»
Bürokratiemonster trifft auch bürgerliche Organisationen
Von der Motion Noser sind schweizweit tausende von Organisationen betroffen, auch solche, die im Bereich Wirtschaft, Kunst, Kultur, Bildung, Sport, Landwirtschaft und Heimatschutz tätig sind. Sie alle systematisch durch die Eidgenössische Steuerverwaltung auf ihr Anrecht auf Steuerbefreiung überprüfen zu lassen, wäre laut Alliance Sud mit einem unverhältnismässig hohen Aufwand verbunden. Falls jemand einen Verdacht hegt, dass sich eine Organisation rechtswidrig verhält, gibt es schon heute die Möglichkeit, dies den zuständigen Behörden zu melden, ohne dass dadurch ein unnötiger Verwaltungsaufwand entsteht.
Wie der Bundesrat in seiner ablehnenden Antwort auf die Motion festhält, sind die kantonalen Steuerverwaltungen zuständig für die Gewährung, die Überprüfung und den allfälligen Entzug von Steuerbefreiungen. Zudem bekräftigt er, dass sich bei steuerbefreiten Organisationen auch Schnittstellen zu politischen Themen ergeben und dass die materielle oder ideelle Unterstützung von Initiativen oder Referenden einer Steuerbefreiung grundsätzlich nicht entgegenstehen. Hauptkriterium bei der Steuerbefreiung sei, dass die politische Tätigkeit nicht der Hauptzweck der betreffenden Organisationen sei. Würden politische Mittel für die Erreichung eines gemeinnützigen Zwecks eingesetzt, stehe dies einer Steuerbefreiung nicht im Wege.
Für weitere Informationen:
Marco Fähndrich, Kommunikationsverantwortlicher Alliance Sud, +41 79 374 59 73, marco.faehndrich@alliancesud.ch