Wasser ist der wichtigste Rohstoff für das Leben auf unserem Planeten. Die Nachfrage wächst überall, doch das verfügbare Süsswasser ist ungleich verteilt. Konflikte rund um das lebenswichtige blaue Gold nehmen mehr und mehr zu – trotz internationaler Kooperationsbemühungen. Auch die Schweizer «Blue Peace»-Initiative trägt zu Konfliktlösungen bei. Doch es wird mehr brauchen.
Was vor 30 Jahren in Helsinki begann, ist heute aktueller denn je: Damals riefen europäische Regierungen die «Water Convention» ins Leben, um eine gemeinsame und nachhaltige Bewirtschaftung der grenzüberschreitenden Gewässer einschliesslich des Grundwassers zu regeln. Immerhin sind weltweit über drei Milliarden Menschen von Wasser abhängig, das über nationale Grenzen hinweg fliesst.
Die Konvention, die im Juni in Tallinn ihr 30-jähriges Bestehen feierte, hat sich in dieser Zeit als wirkungsvolles zwischenstaatliches Instrument zur gemeinsamen Nutzung der weltweit über 260 Wassereinzugsgebiete grenzüberschreitender Flüsse und Seen erwiesen: Bis 2020 meldeten die Vertragsparteien 186 bi- und multilaterale Wasserabkommen. Die Konvention trägt damit auch zu SDG 6.5 der Agenda 2030 bei, «auf allen Ebenen eine integrierte Bewirtschaftung der Wasserressourcen umzusetzen, gegebenenfalls auch mittels grenzüberschreitender Zusammenarbeit».
Durstige Landwirtschaft, durstige Industrie – durstige Menschen
Dass die Verfügbarkeit von Wasser Voraussetzung für Leben, aber auch für gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung ist, ist eine Binsenwahrheit. Wasser trägt zu sozialer Stabilität bei und ist Grundlage für eine gesunde Umwelt. Doch die Trinkwasserressourcen werden an vielen Orten der Welt immer knapper, denn die Nachfrage steigt unaufhörlich – wegen des Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums, der Zerstörung der Ökosysteme, der Verschlechterung der Böden, der vielerorts ungehinderten Verschmutzung und vor allem wegen der Auswirkungen des Klimawandels. Aktuelles Beispiel ist die Wassernot Norditaliens: Die Lombardei hat den Dürrenotstand ausgerufen und die Schweiz gebeten, Wasser aus Tessiner Stauseen abzulassen, um die Situation zu entspannen. Doch diese sind aktuell auch nur zu 30 Prozent gefüllt.
Rund zwei Drittel des weltweiten Süsswasserverbrauchs entfallen gemäss Weltbank auf die Landwirtschaft. Bis 2050 rechnet sie mit einer rund 70 Prozent höheren Agrarproduktion, was den Druck auf die Wasserressourcen weiter erhöhen wird, sofern die Bewässerungseffizienz nicht drastisch verbessert wird. Laut FAO-Experte Jippe Hoogeveen verschärft sich künftig die Konkurrenz um Wasser: «Die Landwirtschaft ist ein sehr durstiger Wirtschaftszweig. Im Vergleich zu Industrie und Dienstleistungen kann sie aber weniger für einen höheren Wasserverbrauch bezahlen. Das bedeutet, dass die Landwirtschaft einen Teil ihres Wasseranteils verlieren wird.»
Heute haben weltweit mehr als 2,2 Milliarden Menschen keinen regelmässigen Zugang zu sauberem und sicherem Trinkwasser. Rund 785 Millionen Menschen haben nicht einmal eine Grundversorgung mit Trinkwasser. Zwei Milliarden Menschen leben in Ländern, die unter starkem «Wasserstress» leiden, dem (Miss-)Verhältnis zwischen Wassernutzung und Wasserverfügbarkeit. Bis 2030 wird sich die Zahl wegen des Klimawandels voraussichtlich auf knapp 2,4 Milliarden erhöhen. Zudem könnten als Folge von Dürren bis 2030 gemäss der WHO bis zu 700 Millionen Menschen zur Migration gezwungen werden. Damit ist das Ziel 6 der Agenda für nachhaltige Entwicklung, bis 2030 die Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser für alle zu gewährleisten, ausser Reichweite. Die UNO stellte denn diesbezüglich auch fest: «Die Welt ist off-track».
Lange Liste der Wasserkonflikte
Mit dem Klimawandel leiden viele Regionen unter langen Dürreperioden oder erratischen Regenfällen bis hin zu Starkregen, die Ernten vernichten und Überschwemmungen verursachen. Es wird immer schwieriger vorhersehbar, wann und wieviel Wasser zur Verfügung steht. In der Folge kommt es zwischen den einzelnen Wassernutzerinnen und -nutzern zunehmend zu Konflikten um den Zugang, die Verteilung und die Nutzung der immer knapper verfügbaren Wasserressourcen. Das gilt für Dorfgemeinschaften und regionale (rivalisierende) Gruppen ebenso wie für Staaten. Nicht selten kommt es dabei auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.
In Gewaltkonflikten sind die Wasserressourcen und -infrastruktur häufig auch direktes Ziel kriegerischer oder terroristischer Angriffe. So zerstörten Anfang dieses Jahres russische Kampfflugzeuge eine Wasserstation in Syrien, Al Shabaab-Kämpfer in Somalia und israelische Streitkräfte in Palästina Wassertanks, Terroristen des Islamischen Staats in Mali eine örtliche Wasserinfrastruktur und russische Truppen in der Ukraine einen Betondamm, mit dem die Ukraine 2014 nach der russischen Annexion die Versorgung der Krim mit Wasser aus der Region Cherson unterbrochen hatte. Und im März flutete die Ukraine das Land nördlich von Kiew, um den Vormarsch russischer Panzer zu verlangsamen.
Seit nunmehr 40 Jahren erfasst das Pacific Institute in einer Chronologie solche Spannungen und Konflikte rund um Wasser, in denen es zu physischer Gewalt oder zu Gewaltandrohungen einschliesslich militärischer Manöver und Gewaltdemonstrationen kommt. Es geht um Ereignisse, bei denen Wasserressourcen oder Wasserinfrastruktur (1) Ursache oder Auslöser eines Konflikts sind, (2) direkt als Werkzeug oder Waffe eingesetzt werden, oder (3) absichtliche Ziele respektive zufällige «Opfer» von Gewalt sind. Zum ersten gehören Streitigkeiten um die Kontrolle von Wasser oder gewaltsame Auseinandersetzungen wegen des Zugangs zu Wasser oder wegen Wasserknappheit. Nicht berücksichtigt hingegen werden Ereignisse, die als Folge von Wassermanagement-Massnahmen negative Auswirkungen auf die Bevölkerung oder Gemeinschaften haben. Damit bleibt beispielsweise die Vertreibung von Menschen wegen des Baus von Dämmen unberücksichtigt, solange es dabei nicht zu Gewalt kommt.
Diese Water Conflict Chronology macht deutlich, dass die Anzahl solcher Konflikte um Wasser stetig zunimmt. Seit 2010 wurden über 830 Konflikte erfasst, die meisten in Westasien (33%), das unter anderem Israel, Palästina, Jordanien, Jemen, Irak, Syrien und die Türkei umfasst, Südasien (23%) und Subsahara-Afrika (17%). Allein in den letzten fünf Jahren zählte das Pacific Institute weltweit über 550 Ereignisse. Diese Häufung dürfte Folge des Klimawandels sein. Dabei hat sich laut SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) die Anzahl Konflikte um Wasser innerhalb von Ländern zwischen den 2000er und 2010er Jahren verdoppelt, während zwischenstaatliche Konflikte eher selten waren.
Blue Peace: Die Wasserdiplomatie der Schweiz
Doch grenzüberschreitende Gewässer bergen nicht nur Konfliktrisiken, sondern auch ein grosses Potenzial für Zusammenarbeit und Dialog, wie die eingangs genannte Wasserkonvention verdeutlicht. Auch die Schweiz trägt gemäss ihrer Aussenpolitischen Strategie 2020-2023 dazu bei, dass Wasser «nachhaltig bewirtschaftet und gerecht zwischen Nachbarländern aufgeteilt» wird und in Entwicklungsländern «als Treiber von Zusammenarbeit, Frieden und nachhaltiger Entwicklung» genutzt wird.
Dabei setzt die Schweiz auf Wasserdiplomatie: Damit die Konfliktressource Wasser zu einem Instrument des Friedens wird, rief sie schon 2010 die Blue Peace Initiative ins Leben: Mittels Dialogplattformen kommen seither verschiedene Akteure zusammen, um «gerechte Entscheidungen über gemeinsame Wasserressourcen zu treffen und in diese zu investieren». Blue Peace ist ein zentraler Baustein des Schweizer Engagements für Wasser und Entwicklung. Heute versteht sich die Initiative als eine wachsende globale Bewegung, die «eine Kultur des Friedens entwickeln, die wertvollen Süsswasserressourcen erhalten und gleichzeitig eine gerechte und nachhaltige Nutzung von Wasser über Grenzen, Sektoren und Generationen hinweg erreichen» will. Dabei setzt sie eine Vielzahl diplomatischer, politischer, technischer und finanzieller Instrumente ein.
Der zugehörige Blue Peace Index 2020 verdeutlicht das regionale Engagement und die jeweiligen Herausforderungen: Die Situation in 30 Ländern der sieben Einzugsgebiete Amazonas, Amu Darya, Mekong, Sava, Senegal, Syr Darya und Tigris-Euphrat wird nach verschiedenen Indikatoren bewertet. Dabei weist «Tigris-Euphrat» mit Iran, Irak, Syrien und der Türkei die schlechtesten Werte auf: Die staatliche Zusammenarbeit ist auf begrenzte und Ad-hoc-Vereinbarungen reduziert, was die Wasserzuteilung und die Kontrolle der Verschmutzung zu einer besonderen Herausforderung macht.
Für März 2023 lädt die UNO zur grossen Wasserkonferenz nach New York, um die Umsetzung der Ziele der Internationalen Aktionsdekade Wasser für nachhaltige Entwicklung, 2018-2028 bei Halbzeit zu überprüfen, und dabei gleich auch den Umsetzungsstand von SDG 6 der Agenda 2030. Es darf erwartet werden, dass auch Blue Peace in New York ihre Erfahrungen einbringen wird. Ihr Engagement für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur friedlichen Verteilung und Nutzung des blauen Goldes wird dringend gebraucht.