Vier Frauen, vier Chancengeschichten
Menschen wie Neuza Yacussa aus Mosambik, Ana Ngayia aus Tansania, Clemencia López Cabrera aus Guatemala und Tahmina Khatun aus Bangladesch brauchen weder Almosen noch Mitleid. Was diese starken Frauen brauchen, ist eine faire Chance auf Wasser, Nahrung, Bildung und Mitsprache, um ihr Leben selbstbestimmt gestalten zu können.
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Lange veränderte sich die Welt zum Besseren. Doch nun scheint sie unter der Last multipler Krisen aus den Fugen zu geraten. Die Weltgemeinschaft steht vor Herausforderungen, die wir jetzt nur gemeinsam bewältigen können. Setzen auch Sie ein Zeichen für eine faire Politik und unterzeichnen Sie unseren Appell für globale Gerechtigkeit.
Es ist Essenszeit. Sorgfältig giesst Tahmina Khatun ein Rinnsal Wasser über die Hand ihres Sohnes Sharif. Nur die Rechte. Sie fängt es auf, um es im Haushalt nochmals zu verwenden. Mutter und Sohn haben pro Tag maximal 13 Liter zur Verfügung zum Trinken, für das Essen, den Haushalt und die Hygiene. Sich selbst und auch die Wäsche wäscht Tahmina mit Salzwasser. Das jucke und führe zu Hautausschlägen. Aber Trinkwasser ist zu wertvoll, sie muss es kaufen: Alle zwölf Tage 150 Liter.
Die 30-Jährige ist alleinerziehende Mutter und lebt im Süden von Bangladesch am Golf von Bengalen, sie hat weder Ausbildung noch Land und lebt in einer Hütte aus Lehm, Bambus, Palmblättern und etwas Wellblech. Ihr weniges Geld verdient sie mit dem Sammeln von wilden Crevettenlarven in den Sundarban-Mangrovenwäldern. Dafür muss sie den Bootsfahrer bezahlen und manchmal auch Piraten, die das Boot aufbringen und Schutzgeld erpressen.
Doch wovon sollte sie sonst leben? Da, wo sie lebt, gedeiht nichts mehr. Denn das Land trocknet aus wegen des Salzwassers, das wegen der Abholzung der Mangroven und den immer häufigeren und heftigeren Stürmen im Zuge des Klimawandels stärker und weiter ins flache Land vordringt – und wegen der Crevettenzuchten, die überall aufgezogen werden. Es ist ein Teufelskreis: Regnet es, fällt der süsse Regen auf salzige Erde – Reisanbau wird so immer schwieriger und die Not immer grösser.
Helvetas unterstützt die Menschen im Golf von Bengalen mit salzresistentem Saatgut. Und mit Regenwassersammelbecken für Dörfer sowie Regenwasserzisternen für abgelegene Haushalte. Mit dem Ziel, Menschen eine faire Chance zu geben, auf einem soliden Boden ihre Existenz zu sichern.
Sommer 2020. In Mosambik schliessen die Schulen wegen der Corona-Pandemie. Neuza Yacussa hatte gerade das zehnte Schuljahr abgeschlossen. Doch statt untätig rumzusitzen, nahm Neuza ihre Zukunft in die Hand: Als sie hörte, dass es Kurse gibt, um Schreinerin zu werden, war sie sofort Feuer und Flamme. Schon immer wollte sie bauen, träumte als Kind davon, Bauingenieurin zu werden. «Schreinern ist kein Beruf nur für Jungs. Ich will zeigen, was eine Frau kann», sagte sie ihren Freundinnen und Bekannten, die von einem Männerberuf sprachen.
Nach einer kurzen Lehre fand sie eine Anstellung in einem Betrieb für Holzarbeiten. Schon nach einem Monat baten die Verantwortlichen die inzwischen 18-Jährige, selbst Ausbildnerin zu werden. «Ich konnte es kaum fassen. Ich bin so glücklich. Mit dem Geld kann ich das Essen für meine Mutter und meine Geschwister kaufen – und Kleider für mich.» In ihren Worten schwingt auch Stolz mit: «Vorher brachten meine Brüder das Essen heim, jetzt kann ich das auch.» Sie beschreibt sich selbst als selbstbewusst und geniesst den Respekt, der ihr heute entgegengebracht wird. Doch sie will mehr, sie will ihren Kindheitstraum verwirklichen: Noch immer will Neuza Bauingenieurin werden. Für ihren Traumberuf muss sie weitere Kurse besuchen, die Aufnahmebedingungen hat sie erfüllt. «Eines Tages werde ich ein eigenes Unternehmen haben und Angestellte. Und ich werde erfolgreich sein.»
In Mosambik gibt Helvetas eine Antwort auf das Problem der hohen Jugendarbeitslosigkeit: In kurzen Ausbildungskursen werden junge Menschen in gefragten Berufen auf die Arbeitswelt vorbereitet. Nach der Ausbildung erhalten die Jugendlichen nicht nur ein Diplom, sondern auch Unterstützung auf der Suche nach einer bezahlten Arbeit oder beim Schritt in die Selbständigkeit. Die Nachfrage nach ausgebildeten Leuten ist gross, wie das Beispiel von Neuza Yacussa (18) zeigt.
Ana Ngayia ist Reisbäuerin im fruchtbaren Zentrum Tansanias. Seit sie Mitglied der «Kilimo Kwanza»-Dorfgruppe ist, hat sich ihre einst magere Reisernte mehr als verdoppelt. In der Gruppe hat sie dank Unterstützung von Helvetas gelernt, nur wenige Tage alte Setzlinge zu setzen, in einem bestimmten Abstand. Und den Reis nach 90 Tagen zu ernten, wenn die Ähren weder zu grün noch bereits zu trocken sind. Sonst fermentiert der Reis oder die Reiskörner fallen ab – beides führt zu grossen Ernteverlusten.
Vor allem aber helfen sich die Mitglieder der Dorfgruppe untereinander aus, auch bei der Ernte. Das macht nicht nur mehr Spass, wie die Frauen sagen, sondern ist auch effizienter. Und ebenso bei Verhandlungen mit Zwischenhändlern, bei denen sie zusammen viel bessere Preise aushandeln. Neuerdings stellen die Frauen der Gruppe gemeinsam parboiled Reis her, denn gesundheitsbewusste Tansanierinnen und Tansanier sind bereit, für den vitamin- und mineralienreichen vorgekochten Reis mehr Geld zu bezahlen.
Clemencia López Cabrera durfte nur bis zur sechsten Klasse zur Schule gehen: «Warum Geld für euch Mädchen ausgeben, wenn ihr sowieso heiratet?», hiess es daheim. Vor der Schule musste sie die Hausarbeit erledigen; Schulmaterial gab es keines. «Uns wurde gesagt, dass wir Frauen weniger zählen, nicht mitzureden haben. Dass eine Frau für die Hausarbeit gemacht ist und um Kinder zu haben, nicht um in der Öffentlichkeit zu sein.» Als Teenager und später als junge Frau glaubte Clemencia das selbst. «Deshalb fühlte ich mich hässlich und unfähig. Seit ich klein war, hiess es: Es sind die Männer, die reden, die Männer, die entscheiden.» Heute wisse sie, was sie wert sei.
Die alles verändernde Chance kam mit einem Helvetas-Projekt. Clemencia wurde Mitglied einer Frauengruppe und besuchte Kurse, um ihr Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen zu stärken. Sie verbesserte ihr Verhandlungsgeschick und entwickelte Führungsfähigkeiten, um Interessen von Frauen voranzubringen. Denn in Guatemala werden indigene Frauen in allen Lebensbereichen diskriminiert. Sie haben weniger Zugang zu Bildung, Einkommen, Medizinsystem und anderen öffentlichen Dienstleistungen als Männer. Ihre Arbeitslast ist immens und häusliche Gewalt weit verbreitet. Bei Behördengängen werden ihre Anliegen oft als nichtig abgetan, vom politischen Leben sind sie weitgehend ausgeschlossen.
Deshalb nimmt Helvetas auch Behörden und Amtsstellen in die Pflicht, sich stärker für Frauen einzusetzen. Clemencia lernte an konkreten Beispielen, wie ein Vorstoss geplant, budgetiert und eingegeben werden muss, damit er Aussicht auf Erfolg hat. «Mir ist klar geworden, dass auch meine Meinung wichtig ist, auch meine Ideen gut sind», sagt Clemencia López Cabrera (29) heute. Als Mitglied im Entwicklungsrat ihres Dorfes setzt sie sich für die Anliegen aller ein. «Wir selbst konnten nicht lange genug zur Schule gehen oder studieren, aber unsere Töchter werden diese Möglichkeiten haben.»
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