Von hartnäckigen Mythen und wichtigen Erkenntnissen

Mit dem Thema Migration lässt sich Stimmung machen. Dabei kursieren Fake News gewürzt mit viel Halbwissen und Parteiinteressen. Höchste Zeit für etwas mehr Nüchternheit in der Debatte.
von Rebecca Vermot und Nadja R. Buser

Die Debatte über Migration ist spannungsgeladen. Dabei geht oft vergessen, dass die Schweiz wegen grosser Armut bis Ende des 19. Jahrhunderts selbst ein Auswanderungsland war – andernorts also Schweizerinnen und Schweizer Mitgrant:innen waren. Es geht vergessen, dass die Zuwanderung von Arbeitskräften ein wichtiger Motor für die Entwicklung der Schweiz geworden ist. Und dass hinter Zahlen und Statistiken immer Menschen stehen: Mütter, Brüder, Töchter, Nachbarinnen, Sandkastenlieben. Und: in jedem Aufbruch steckt auch Hoffnung.

Hürden und Paradoxe

Die Lotterie der Geburt bestimmt, welchen Pass ein Mensch erhält. Je nachdem stehen viele Türen offen – oder sie sind fest verschlossen, wie der Passport Index zeigt (passportindex.org). Während eine Person aus Bangladesch ohne Visum in gerade mal 16 Länder einreisen kann, können Schweizer:innen 121 Länder ohne Visum bereisen. Flüchtende sind deswegen, aber auch mangels Papiere und legaler Zugangswege, paradoxerweise dazu gezwungen, Recht zu brechen, also Grenzen ohne gültige Papiere zu queren, bevor sie ihr Recht, um Asyl zu ersuchen, geltend machen können.

Die Macht der Sprache

Welche Worte in der Migrationsdebatte in Politik und Gesellschaft genutzt werden, zeigt, wie Migrant:innen gesehen und bewertet werden, denn Sprache erzeugt Realität. Wer beispielsweise von Migrationsstrom oder Flüchtlingswelle spricht, impliziert naturgewaltige, ja gefährliche Ereignisse. Für die Internationale Organisation für Migration bezeichnet der Begriff «Migrant:in» eine Person, die innerhalb eines Staats oder über die Staatsgrenze hinweg vom bisherigen Aufenthaltsort wegzieht. Unabhängig davon, ob legal oder ohne Papiere, ob freiwillig oder erzwungen, weshalb und für wie lange. 

Auf global-migration.iiasa.ac.at zeigt eine Grafik, wie viele Menschen migrieren, und wohin. Die Breite der Pfeile gibt die Richtung und Anzahl der Migrant:innen an. 

Lediglich 3% der afrikanischen Bevölkerung lebt ausserhalb des Heimatlandes, in Europa sind es 8,5% der Bevölkerung. (4) Die Mehrheit der Afrikaner:innen, 54%, migriert innerhalb von Afrika; 26% gehen nach Europa. (5)

Chance oder Risiko?

In der Migration steckt viel Potenzial. Migrant:innen bringen auch Innovationen, Fähigkeiten und Erfahrungen mit. Damit alle beteiligten Menschen und Länder von Migration profitieren können, ist es jedoch wichtig, dass Migration in einem sicheren, geordneten und regulären Rahmen geschieht. Das bedeutet, Menschenrechte und Würde der Migrierenden zu schützen und faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, wie es der Globale Migrationspakt der Uno fordert. Dazu gehört auch, Armut, Konflikte und Klimawandel zu minimieren, alles Faktoren, die Menschen überhaupt erst zur Migration veranlassen. «Wir von Helvetas sind weder für noch gegen Migration», sagt Migrationsexperte Régis Blanc. «Wer sich aber dafür entscheidet oder dazu gezwungen wird, soll nicht an Leib und Leben bedroht sein. Sichere Migration heisst, vor extremen Risiken geschützt zu sein.»

 

Die Mehrheit der Migrant:innen stammt nicht aus armen Ländern, sondern aus den Schwellenländern Indien, Mexiko, Russland und China. Die grössten Zielländer sind USA, Deutschland, Saudi-Arabien und Russland. (6)

647’000’000’000 US-Dollar

Migrant:innen überweisen jährlich mehr Geld an ihre Angehörigen in der Heimat im Globalen Süden als die ganze Welt pro Jahr für die offizielle Entwicklungszusammenarbeit ausgibt: 2022 standen Rücküberweisungen von 647 Milliarden US-Dollar einem Total von 204 Milliarden US-Dollar für staatliche Entwicklungszusammenarbeit gegenüber.

Quellen:
1 UN DESA: Population Facts Dec. 2017
2 IOM: Africa Migration Report 2020
3 IOM: World Migration Report 2022
4 Mo Ibrahim Foundation, 2022: Africa and Europe. Facts and Figures on African Migrations
5 statista.com/statistics/1232898/main-destinationsof-african-migrants/
6 de.statista.com/themen/8370/migrationund-flucht-weltweit/