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10'000 Brücken der Zuversicht

Im November wurde in Nepal die 10'000ste Hängebrücke des Landes eingeweiht. Entwickelt und umgesetzt hat diese Helvetas, finanziert von der Deza. 10'000 Brücken; das sind ebenso viele Chancen für noch mehr Menschen, ihr Leben zu verbessern. Wir haben bei einer dieser Brücken mit drei Menschen gesprochen.
Aufgezeichnet von Caroline Guillet
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Dawa Chirring © Caroline Guillet

Dawa Chirrings Chance

«Ich bin 15 Jahre alt und komme aus dem Dorf Timbu, das hier bei der Brücke beginnt. Während der Regenzeit – das ist jeweils von Juni bis September – ist der Fluss Melamchi wild und der Wasserstand so hoch, dass es unmöglich ist, den Fluss zu durchwaten. Die Gemeinde hat deshalb einen Übergang gebaut, eine schmale und einfach gebaute Holzbrücke, sehr nahe über dem Fluss. Aber während der Regenzeit war das Wasser auch dafür zu hoch und die Strömung des Flusses zu stark für die Holzkonstruktion. Ich und 14 andere Schülerinnen und Schüler aus Timbu konnten dann nicht mehr nach Hause gelangen, und wir waren jeweils mehrere Monate getrennt von unseren Familien. Wir haben in einem Hostel der Schule gelebt in dieser Zeit. Mein jüngerer Bruder – er ist 13 Jahre alt – und ich blieben dann jeweils in diesem Hostel. Und wenn ich während den Ferien meine Familie sehen wollte, musste ich den weiten Weg flussabwärts bis zur nächsten Brücke laufen, den Melamchi überqueren und dann alles wieder flussaufwärts zurück nach Timbu zu meiner Familie. Das waren jeweils über fünf Stunden zu Fuss. Ich bin froh, dass es die neu gebaute Brücke gibt, nun kann ich meine Familie viel öfter sehen. Mein jüngerer Bruder kehrt nun jeden Abend nach Hause zu unseren Eltern zurück. Ich bleibe nach wie vor manchmal mit meinen Freunden im Hostel, um zu lernen beispielsweise. Nach der Oberstufe möchte ich ein Studium beginnen, vielleicht in Betriebswirtschaft.»

Erfahren Sie mehr in unserer Medienmitteilung über die 10'000 Hängebrücken in Nepal.

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Pasang Dholma Hyolmo © Caroline Guillet

Pasang Dholma Hyolmos Chance

«Ich lebe hier mit meinen beiden Kindern gleich neben der Brücke. Wir wohnen bei meinen Schwiegereltern. Unterdessen arbeitet mein Mann in Gorka, einer Stadt im Südwesten Nepals. Er verdient dort als Tagelöhner Geld auf dem Bau und kommt nur selten nach Hause. Die Brücke wurde nach der Geburt unseres zweiten Kindes, unserer Tochter Dhoma, gebaut. Ich wünschte mir, sie wäre früher gebaut worden. Schwanger, mit einem dicken Bauch, musste ich jeweils sehr weit zum medizinischen Zentrum laufen, um mich impfen oder untersuchen zu lassen. Das waren sehr lange und ermüdende Fussmärsche. Aber ich hatte keine andere Wahl, es gibt keinen Arzt in unserem Dorf. Bevor ich meine Tochter Dhoma zur Welt brachte, musste ich fünf Stunden zur ärztlichen Untersuchung laufen. Mein kleiner Sohn hat den Bau der Brücke damals jeden Tag neugierig und fasziniert beobachtet. Er ist erst drei Jahre alt und hätte eigentlich letztes Jahr schon in den Kindergarten gehen sollen. Aber ohne Brücke war auch das unmöglich. Nun soll er dieses Jahr gehen. Meine Mutter wohnt etwas flussabwärts auf der anderen Seite. Jetzt  kann ich sie besuchen, wann immer ich möchte. Ich benutze die Brücke auch, um auf den Markt zu gehen, oder um auf den Ämtern meine Steuern und Rechnungen zu bezahlen. Das war früher schwierig. Zum ersten Mal überquert habe ich die Brücke, als ich den Geburtsschein meiner Tochter abholen musste. Dafür habe ich nur noch eine halbe Stunde gebraucht!»

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Dawa Tamang © Caroline Guillet

Dawa Tamangs Chance

«Ich bin Bauer und habe ein Stückchen Land in Timbu. Ich und die anderen im Dorf, wir pflanzen hauptsächlich Gemüse an. Ich selber besitze zudem drei Ziegen und einen Büffel. Auf der anderen Seite des Flusses können wir Futter für das Vieh – Gräser und Wurzeln – sammeln. Auch Holz, um zu kochen, müssen wir im Wald auf der anderen Seite sammeln. Das Land wirft gerade genug für mich zum Überleben ab. Um etwas davon auf dem Markt zu verkaufen, habe ich zu wenig. Viele meiner Verwandten wohnen in Timbu Bazaar, flussaufwärts am anderen Ufer. Wir gehen zusammen in den Tempel, und es ist sehr wichtig für mich, dorthin gehen zu können. Die Brücke hilft mir sehr, denn aus dem siebenstündigen Marsch zu meiner Familie ist nun ein halbstündiger Weg geworden. Nun kann ich den Fluss überqueren, wann immer ich will oder muss; zum medizinischen Zentrum, zum Markt, zur Gemeinde oder zum Bezirksamt beispielsweise. Jeden Monat muss ich zur Gemeinde gehen, um meine Rente von der Regierung zu erhalten. Dank der Brücke sind alle viel mobiler geworden.»

Eine Erfolgsgeschichte

Die Brücke über den Fluss Melamchi befindet sich am Anfang des Dorfes Timbu in der Region Helambu im Zentrum Nepals. Die 10'000 Hängebrücken sind das Resultat aus sechs Jahrzehnten Unterstützung der Deza und Helvetas. Seit 2023 finanziert die Regierung Nepals den Bau der Fussgängerbrücken in Eigenregie weiter. Dank eines Süd-Süd-Kooperationsprojekts von Helvetas geben nepalesische Ingenieur:innen heute ihr Wissen über Brücken unter anderem in Äthiopien, Burundi und Indonesien weiter. Das Brückenprojekt ist ein eindrückliches gutes Beispiel, wie in langfristiger Zusammenarbeit zwischen Ländern des globalen Südens und der Schweiz nachhaltige Systeme aufbaut werden, die das Leben vor Ort verbessern.