Clemencia López Cabrera | © Sandra Sebastian / fairpicture

Fakten statt Mythen zur Entwicklungszusammenarbeit

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Die Schweizer Armee aufrüsten auf dem Buckel der Ärmsten der Welt. Genau das hat der Ständerat im Juni beschlossen. Er bedient sich dabei am Budget der Internationalen Zusammenarbeit – und zwar grosszügig mit zwei Milliarden Franken in den nächsten vier Jahren. Die Erklärungen und Rechtfertigungen dafür sind abenteuerlich und falsch. Darum präsentiert Helvetas nachfolgend Richtigstellungen und Gegenargumente. Noch ist es nicht zu spät: Der Nationalrat kann den ständerätlichen Kahlschlag bei der Entwicklungszusammenarbeit korrigieren.

BEHAUPTUNG: Die vorgeschlagenen Kürzungen fallen nicht ins Gewicht.

Denn zusätzlich zu den zwei Milliarden für die Armee wollen Bundesrat und Parlament von 2025 bis 2028 der Ukraine 1,5 Milliarden Franken für humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau zur Verfügung stellen – ebenfalls aus der Kasse der Internationalen Zusammenarbeit. Die Schweiz müsste sich aus vielen Schwerpunktländern zurückziehen und auch bei schweizerischen Entwicklungsorganisationen, beim IKRK, bei Unicef und dem Uno-Flüchtlingsprogramm UNHCR sowie bei vielen weiteren wichtigen internationalen Organisationen massiv sparen. Sie würde sich damit von ihrer humanitären Tradition verabschieden.

BEHAUPTUNG: Ein Grossteil der Projekte ist wirkungslos.

Seit Jahren wird die Wirkung der Entwicklungszusammenarbeit im Gegensatz zu anderen Bereichen wie der Landwirtschaft oder der Armee sehr detailliert gemessen und öffentlich dokumentiert. IT- oder Beschaffungsskandale wie sie beim Militär immer wieder vorkommen, oder klima- und biodiversitätsschädigende Subventionen in der Landwirtschaft könnte sich die Entwicklungszusammenarbeit nicht leisten.

BEHAUPTUNG: Armut ist praktisch aus der Welt geräumt.

Der russische Angriffskrieg verschlimmert die Lage zusätzlich, weil die Lebenshaltungskosten steigen und sich die Ernährungssituation in vielen Ländern verschlechtert. Bei den derzeitigen Trends werden 2030 immer noch 574 Millionen Menschen – fast 7% der Weltbevölkerung – mit weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag überleben müssen.

BEHAUPTUNG: Die Schweiz tut schon genug für die Ärmsten.

Immer noch finanzieren unsere Grossbanken fossile Projekte im Ausland. Unser Finanzplatz fördert Gewinnverschiebungen und Steueroptimierung zum Leidwesen von Entwicklungsländern. Wir leben mit unserem grossen Klimafussabdruck auf Kosten der Ärmsten und des Planeten. Hinzu kommt: Zwar erhält die Schweiz für ihre Entwicklungszusammenarbeit regelmässig gute Noten. Sie setzt dafür aber laut der Uno und der OECD deutlich zu wenig Finanzmittel ein. Andere Staaten leisten im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftskraft (BIP) deutlich mehr Entwicklungszusammenarbeit.

BEHAUPTUNG: Das Geld aus der Schweiz stärkt autoritäre und korrupte Regime.

Wo immer möglich arbeitet die IZA nicht mit Regierungen, sondern direkt mit lokalen Behörden, lokalen NGOs, KMUs, Community-basierten Organisationen und Akteuren aus der Wissenschaft zusammen. Dies gilt ganz besonders dort, wo die Regierung intransparent und gegen ihre eigene Bevölkerung arbeitet. Je lokaler und je näher an der Bevölkerung, desto geringer das Risiko für Korruption.

BEHAUPTUNG: Der «Entwicklungshilfe» fehlt es an unternehmerischem Denken.

Ein wichtiger Fokus liegt auch auf dem Aufbau fairer und sauberer Lieferketten, von denen möglichst viele Menschen profitieren, und der fachlichen Ausbildung junger Menschen. Ist das lokale Gewerbe erfolgreich, schafft es gute Arbeitsplätze und nachhaltige Wertschöpfung vor Ort, ganz im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe.  

BEHAUPTUNG: Die Schweiz muss sich für ihre Sicherheit auf die militärische Stärke konzentrieren.

Kriege, Krisen und der Klimawandel führen zu wachsender Ungleichheit und Staatsschulden. Sie verschärfen Hunger, schwächen die Menschenrechte und befeuern unfreiwillige Migration. Die Schweiz darf deshalb nicht nur die militärische Aufrüstung im Blick haben. Zivile Friedensförderung und der Schutz der Menschenrechte, humanitäre Hilfe und langfristige Bildungs-, Gesundheits- und Landwirtschaftsprogramme, Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen sowie eine starke lokale Wirtschaft in ärmeren Ländern tragen nachweislich zu weltweiter Sicherheit und Stabilität bei, was wiederum der Schweiz zugutekommt.

BEHAUPTUNG: Die Entwicklungszusammenarbeit bringt den Menschen in der Schweiz nichts.

Zum einen profitiert die Schweizer Wirtschaft: Die Entwicklungszusammenarbeit hilft Schweizer Unternehmen, neue Märkte zu erschliessen, indem in den entsprechenden Ländern politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen verbessert werden. Zum anderen nimmt sie sich globaler Herausforderungen wie Klimawandel, Flucht und Vertreibung, Pandemien und Artenschwund an – das nützt auch unmittelbar der Schweiz und ihren Bewohner:innen. Weiter fördert die Entwicklungszusammenarbeit Frieden und Sicherheit – und ermöglicht mit ihrem Engagement Menschen in armen und krisengeschüttelten Ländern Alternativen zur Migration.

BEHAUPTUNG: In Bezug auf Migration verfehlt die Entwicklungszusammenarbeit ihr Ziel.

Die Schweiz trägt dazu bei, Grundbedürfnisse zu sichern, Bildung, Gesundheit und Frieden zu fördern, die Menschen vor den Folgen des Klimawandels zu schützen und die Zivilgesellschaft zu stärken. Wo das gelingt, haben Menschen keinen Grund, ihre Heimat zu verlassen. Und überall dort, wo Menschen fliehen müssen, leistet die Humanitäre Hilfe einen Beitrag zum Schutz der Menschen auf der Flucht.

BEHAUPTUNG: Die Schweiz muss sparen und darf sich nicht noch stärker verschulden.

Die Corona-Pandemie hat zu einer Zunahme der Armut geführt. Die Gewalt in der Ukraine hat eine neue Dimension erreicht. Weltweit sind Demokratien auf dem Rückzug, und die Menschenrechte geraten vielerorts unter Druck. Kriege und Klimaverwüstungen sorgen für immer mehr Armut, Hunger und Vertreibung. Doch anstatt in internationale Zusammenarbeit, weltweiten Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung zu investieren, halten bürgerliche Politiker:innen strikte an der Schuldenbremse fest. Dabei wäre die Schweiz mit einer leicht höheren Schuldenquote immer noch Weltspitze – ohne Einbussen beim Wohlstand hinnehmen zu müssen. Jetzt nicht zu handeln, kostet in Zukunft mehr.

Noch ist es nicht zu spät. Der Nationalrat kann den Entscheid des Ständerates noch kippen, damit die Entwicklungszusammenarbeit nicht massiv gekürzt wird. Helfen Sie uns dabei und setzen Sie ein Zeichen für #MehrSolidaritätJetzt auf www.mehr-solidaritaet-jetzt.ch.

Weitere spannende Inhalte finden Sie im entwicklungspolitischen Blog «Polit-Sichten».