Bern - 07. März 2021

Jetzt braucht es ein Gesetz, das Wirtschaft und Menschenrechte verbindet

Zum ersten Mal konnte die Schweizer Bevölkerung über ein Freihandelsabkommen abstimmen. Der knappe Ausgang der Abstimmung zeigt deutlich, dass ein Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik notwendig ist. Alliance Sud, die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und Public Eye fordern ein Gesetz, das die Transparenz und Kohärenz der Aussenwirtschaftspolitik sicherstellt. Das sind Bundesrat und Parlament nach der heutigen Abstimmung der Bevölkerung schuldig.

Gemeinsame Medienmitteilung der entwicklungspolitischen Dachorganisation Alliance Sud, die von Helvetas und anderen grossen Schweizer Hilfswerken getragen wird, der Gesellschaft für bedrohte Völker und Public Eye.

Während der Kampagne haben unsere drei Organisationen mit differenzierten Einschätzungen und Analysen zur Debatte beigetragen. Seit mehr als zehn Jahren versuchen wir, die Handelspolitik in die Öffentlichkeit zu tragen, und wir haben noch nie ein solches Interesse erlebt. Das ist sehr erfreulich!

Fanal für künftige Freihandelsabkommen

Das grosse Interesse zeigt, dass der Handel nicht mehr nur eine Sache von Unterhändler*innen ist, die sich hinter verschlossenen Türen treffen. Die Menschen stehen Handelsabkommen, die die Umwelt und die Menschenrechte zu wenig berücksichtigen, zunehmend kritisch gegenüber. Dies zeigt sich bereits in den Diskussionen zu den anstehenden Freihandelsabkommen (FHA) mit den Mercosur-Staaten und mit Malaysia. Es ist derzeit ungewiss, ob eines dieser beiden Abkommen verbindliche Nachhaltigkeitskapitel enthalten wird oder dass der oft zitierte «PPM-Ansatz», der bekanntlich Zollkonzessionen an Produktionsbedingungen koppelt, verankert wird. Weitere Volksabstimmungen werden folgen.

FHA mit China als menschenrechtlicher Tiefpunkt

Der Schweiz fehlen bisher die rechtlichen Grundlagen, um Menschenrechtsverletzungen zu begegnen, die durch die Aussenwirtschaftspolitik verschärft werden. Das krasseste Beispiel ist das Freihandelsabkommen mit China. Die Existenz von Zwangsarbeit in den uigurischen Lagern in Xinjiang ist allgemein bekannt; trotzdem unternimmt die Schweiz kaum etwas, um zu verhindern, dass Produkte aus diesen Lagern im Rahmen des Freihandelsabkommens in die Schweiz importiert werden, und zwar zu einem Vorzugstarif. Laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) fand die letzte Sitzung des «gemeinsamen Ausschusses», in dem arbeitsrechtliche Fragen im Rahmen des FHA mit China besprochen werden könnten, 2016 statt. Gleichzeitig behauptet der Bundesrat, er habe keine Rechtsgrundlage, um die Einfuhr von Produkten aus Zwangsarbeit in die Schweiz zu verhindern, und beschränkte sich darauf, einen Runden Tisch mit den Verantwortlichen des Textilsektors zu organisieren, um sie über die Situation in Xinjiang zu «informieren». Dies ist absolut ungenügend.

Es ist Zeit für ein Aussenwirtschaftsgesetz

Obwohl China ein krasses Beispiel ist, unterliegt auch der Handel mit Ländern, die sich schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig machen – man denke an das heutige Burma, an Weissrussland oder an Saudi-Arabien, das den Krieg im Jemen unterstützt –, nur sehr wenigen Auflagen und Kontrollen.
Für Alliance Sud, Public Eye und die Gesellschaft für bedrohte Völker ist es höchste Zeit, sich an die Ausarbeitung eines Aussenwirtschaftsgesetzes zu machen, das die Handelspolitik auf eine menschenrechtliche Grundlage stellt, wie es der emeritierte Professor Thomas Cottier in einem von unseren Organisationen in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten vorgeschlagen hat. Die Schweizer Bevölkerung hat es verdient.

Kontakt:

Isolda Agazzi, Alliance Sud, 079 434 45 60
Angela Mattli, Gesellschaft für bedrohte Völker, 079 378 54 30
Thomas Braunschweig, Public Eye, 044 277 79 11