Aus ökonomischer Sicht gibt es in der Schweiz keine Gründe, langfristig im Staatshaushalt zu sparen. Das zeigt eine neue Studie im Auftrag von Alliance Sud. Sie widerlegt das Mantra, wonach die Bundesfinanzen «in Schieflage» seien. Und sie zeigt: Die Schweiz kann sich sowohl eine Aufstockung der Ukraine-Hilfe wie auch einen Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit leisten.
Medienmitteilung des entwicklungspolitischen Kompetenzzentrums Alliance Sud, das von Helvetas und anderen grossen Schweizer Hilfswerken getragen wird.
Der Ökonom Cédric Tille, Professor am renommierten Geneva Graduate Institute und ehemaliges Mitglied des Bankrats der Schweizerischen Nationalbank, hat im Auftrag von Alliance Sud den finanz-politischen Spielraum des Bundes für die nächsten fünfundzwanzig Jahre untersucht (siehe Anhang). Er kommt klar zum Schluss: Aus ökonomischer Sicht gibt es für den Bund keinen Grund zu sparen. Im Gegenteil: Die extrem tiefe Staatsverschuldung der Schweiz macht in den nächsten Jahren zusätzliche Investitionen möglich: Bis 2030 stehen gemäss Tille mindestens 15 Milliarden Franken für Mehrausgaben zur Verfügung, bis 2050 sogar 25 Milliarden – ohne dass sich die extrem niedrige Schuldenquote der Schweiz erhöht.
Zwei Faktoren sind für dieses Ergebnis wichtig: Die Zinsen auf Staatsanleihen bleiben für den Bund trotz Zinserhöhungen der Schweizerischen Nationalbank real sehr tief. Zudem sinkt mit der gegenwär¬tigen Inflation die Verschuldung des Bundes im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP), weil letzteres durch die Inflation steigt. Die Studie legt den grundsätzlichen Irrtum des Bundesrates im Umgang mit der Schweizer Staatsverschuldung offen: Die absolute Zahl in Franken und Rappen ist irrelevant, um die finanzpolitische «Fitness» der Schweiz zu messen. Entscheidend ist der Schuldenstand im Verhältnis zum BIP. Und hier steht die Schweiz auch im internationalen Vergleich äusserst bzw. zu gut da.
«Die Studie von Cédric Tille bestätigt, dass das in der Staatsrechnung 2022 ausgewiesene Defizit von 1,6 Milliarden Franken absolut verkraftbar ist», kommentiert Dominik Gross, Experte für Finanzpolitik bei Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik. «Der Schuldenstand des Bundes wird auch ohne Sparmassnahmen und bei sehr konser-vativen Schätzungen von einem äusserst niedrigen Niveau aus weiter sinken», so Gross. Die rein ideologisch motivierte rigorose Anwendung der Schuldenbremse erzeuge einen künstlichen Spardruck. «Hier gibt es aber auch rechtlichen Spielraum, ohne die Schuldenbremse grundsätzlich infrage stellen zu müssen.»
Der Globale Süden braucht wie die Ukraine mehr Unterstützung
Die Ergebnisse der Studie sind brisant, weil der Bundesrat mit Verweis auf den Bundeshaushalt bis 2028 aus dem Budget für die Entwicklungszusammenarbeit 1,8 Milliarden Franken in die Ukraine umleiten will. «Das Aushungern des Bundesbudgets geht auf Kosten der Menschen in den Entwicklungsländern, die schon jetzt unter den dramatischen Folgen des Krieges leiden und anders als die Schweiz tatsächlich mit einer Schuldenkrise konfrontiert sind», sagt Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud.
Mit Blick auf die Finanzierung des Wideraufbaus in der Ukraine zeigt die Studie deutlich, dass die Schweiz ihre internationale Solidarität stärken kann und muss: «Der Bund hat einen finanziellen Spielraum in Milliardenhöhe, der mehr Geld für die Ukraine und gleichzeitig den Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit in ärmeren Ländern erlaubt», sagt Missbach: «Beides ist dringend nötig und dient auch der Sicherheit der Schweiz.»
Für weitere Informationen:
- Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud, Tel. 031 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch
- Dominik Gross, Verantwortlicher Steuer- und Finanzpolitik bei Alliance Sud, Tel. 078 838 40 79, dominik.gross@alliancesud.ch
- Cédric Tille, Professor für internationale Ökonomie am Geneva Graduate Institute, Centre for Finance and Development, und Research Fellow Center for Economic Policy Research (CEPR) London, Tel. 079 668 74 42, cedric.tille@graduateinstitute.ch
Die Studie finden Sie hier.